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Standpunkt: Wir brauchen etwas Anderes als "Krieg gegen den Terror"

Standpunkt: Wir brauchen etwas Anderes als "Krieg gegen den Terror"

09-12-2015

von Bruno Kaufmann, Vorstandsmitglied von Democracy International und Chefredakteur des Online-Portals people2power.info

Weihnachten und die Feiertage stehen vor der Tür, viele Menschen sehnen sich nach Frieden und Gemeinschaft. An vielen Arbeitsplätzen kommt das Personal zu Jahresend-Feiern zusammen – so auch im Inland Regional Center von San Bernardino in Südkalifornien, wo am 2. Dezember ein Angestellter der lokalen Gesundheitsbehörde (mit seiner Frau) bei einem Angriff 14 Kollegen tötete und 21 weitere verletzte.

Bruno Kaufmann

 

Ich war an dem Tag im benachbarten Los Angeles unterwegs mit meinem Journalistenkollegen Joe Mathews (kalifornischer Kolumnist und Innovations-Redaktor bei Zocalo Public Square). Wir standen kurz vor einem Treffen mit dem Leiter des LA Empowerment Department, um über Optionen und Grenzen von stärkeren lokalen Demokratien zu diskutieren. Das Empowerment Department ist das Koordinationsbüro für die 96 Nachbarschafts-Räte in Los Angeles

Es war ein Schnappschuss dessen, was heute rund um die Welt passiert: Wir stärken unsere Demokratien, während wir gleichzeitig sehen müssen, wie unsere Freiheiten und Fortschritte wegen terroristischer Angriffe und den darauf folgenden Reaktionen von Regierungs- und Staatschefs wieder Rückschläge erleiden müssen.

Wir leben in einer Welt, in der einerseits der Kampf um Macht und Kontrolle mit einseitigen Aktionen, nicht nur von Seiten terroristischer Organisationen, sondern auch von Seiten wichtiger Nationalstaaten, neue dramatische Ausmasse erreicht, und in der andererseits grosse Anstrengungen unternommen werden, um die Macht des Volkes auf allen Regierungsebenen zu konsolidieren.

Politik der Angst

Bis zum Ende der Woche des Massakers von San Bernardino (und vielen ähnlichen Angriffen in Nordafrika und im Nahen Osten) hatten US-Präsident Barack Obama, der britische Premierminister David Cameron, der französische Präsident François Hollande und der russische Präsident Wladimir Putin alle neue Bombardierungs-Kampagnen gegen Daesh (den so genannten "Islamischen Staat" oder ISIL) angekündigt.

Andere wiederum nutzten die Massenerschiessung in Kalifornien als Grund, um die Aufnahme der Opfer von Gewalt und Gegengewalt – Flüchtlinge, die einen sicheren Hafen suchen – weiter einzuschränken.

Indirekt resultierte die Strategie des "Islamischen Staats" auch in Wahlsiegen für fremdenfeindliche politische Kräfte wie Frankreichs Front National.

All diese Ereignisse schufen einen harschen Kontext für den Gipfel unter dem Namen By The People [Durch das Volk]: Ein globales Treffen von mehr als 200 Gemeinde-Führungskräften, Wahlbeamten, Akademikern und Fachleuten aus aller Welt an der Arizona State University (ASU).

Die Konferenz stellte die riskante Politik, mit der die politischen Führungskräfte auf die Terrorangriffe im Namen extremer religiöser Gruppen reagieren, als Spiel mit dem Feuer fundamental in Frage.

"Was wir heute brauchen, ist ein noch stärkeres Engagement, um unsere Demokratien zu stärken", sagte Jonathan Koppell, Dean des College of Public Service and Community Solutions an der ASU. "Es gibt immer mehr Menschen, die nicht der Ansicht sind, dass Regierungen Sinn machen, oder dass Demokratie eine gute Sache ist."

Das Versprechen von Bürgermacht

Konfrontiert mit der grundlegenden Infragestellung universeller Prinzipien, etablierter Prozeduren und weitreichender Praxis der modernen Demokratie setzte sich die ASU-Demokratiekonferenz mit einer Reihe von Themen auseinander, die mit der Entwicklung der Macht von Bürgern und Bürgerinnen in Beziehung stehen: Partizipative Demokratie, staatsbürgerliches Engagement und Bürgererziehung.

In all diesen Bereichen, bei denen es um Förderung und Unterstützung aktiver Bürgerschaft geht, haben Expertengemeinschaften rund um die Welt viel Arbeit geleistet und vielerorts bemerkenswerte Resultate erzielt.

Berichte an der ASU-Demokratiekonferenz gaben einen Einblick in verschiedenste Aspekte, von partizipativen Budgetverfahren in der transsilvanischen Hauptstadt Cluj über die neue demokratische Gesetzgebung in Kolumbien bis hin zu modernsten Technologien unter Grönlands Selbstverwaltung.

Dennoch arbeiten viele Akteure noch immer weitgehend in Isolation innerhalb bestimmter akademischer Programme, in Techno-Projekten oder in begrenzten sozialen Bewegungen. Sie schaffen so oft nur wenig Anreize, um von politischen Führungskräften und dem breiten Publikum wirklich ernst genommen zu werden.

Diese Tatsache bietet einen weiteren Anachronismus bei der Demokratisierung der Demokratie an: Während gewisse mächtige Akteure ihre gesamte Agenda über Konflikte, einfache Sprache und Angst festlegen, tendieren andere – einschliesslich vieler aus der Gemeinschaft für partizipative Demokratie, die sich in Arizona eingefunden hatte – dazu, Konfrontation, klare Botschaften und politische Strategien zu vermeiden und ziehen es vor, innerhalb ihrer Komfortzone zu bleiben.

Verantwortliche Leute vor Ort

Deshalb ist es, trotz all den guten Absichten und der umfassenden Expertise, die hier zusammenkam, noch immer ein weiter Weg, bevor die Bewegung für mehr Bürgerbeteiligung die negativen Nachrichten aus aller Welt wird ausbalancieren können.

Zu der unglücklichen Dynamik gehören auch Wahlen und Referenden aus der jüngeren Vergangenheit, in denen amtierende Präsidenten versuchten, trotz verfassungsrechtlicher Schranken an der Macht zu bleiben, wie beispielsweise in Armenien, Ecuador oder Burundi.

Glücklicherweise gibt es aber auch andere Beispiele – wie man jüngst in Burkina Faso, Tansania, Burma und Indien sehen konnte –, wo die Macht des Volkes sich bis zu einem gewissen Grad durchsetzen konnte. Und es gibt wachsende Bemühungen, partizipative Prozeduren und Praktiken in lokalen und regionalen Regierungen weltweit zu integrieren.

Es ist durch diese anderen Massnahmen, mit denen der reale "Krieg gegen den Terror" in Zukunft gewonnen werden kann – nicht durch Erlasse von Oberkommandierenden, sondern mit Hilfe verantwortlicher Leute vor Ort, in Familien, Vereinen, Dörfern, an Arbeitsplätzen – und an Wahltagen.

Bruno Kaufmann ist ein Vorstandsmitglied von Democracy International und Chefredakteur des Online-Portals people2power.info, wo dieser Artikel zuerst erschien. Dies ist die persönliche Meinung des Autors und spiegelt nicht die Linie von Democracy International wider.

 

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