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Yasunidos: Zehn Jahre Entschlossenheit beweisen, dass den Menschen doch die Macht gehört

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Yasunidos: Zehn Jahre Entschlossenheit beweisen, dass den Menschen doch die Macht gehört

19-09-2023

Bereits im Jahr 2013 sprachen wir mit Yasuni über eine damals neu vorgeschlagene Bürger:inneninitiative, die den Amazonaswald in Ecuador vor verheerenden Ölbohrungen zu schützen versuchte. Jetzt – 10 Jahre und viele Hürden später – ist dieser Artikel dem Erfolg der Abstimmung gewidmet!

Die Abstimmung erfolgte dank einer Bürger:inneninitiative zu diesem landesweiten Problem. Laut der ecuadorianischen Verfassung müssen fünf Prozent der Wahlberechtigten die Initiative unterstützen, damit die Abstimmung stattfinden kann. Die Initiator:innen haben sechs Monate Zeit, um die dafür erforderlichen Unterschriften zu sammeln. Ausführlichere Informationen über die Gesetzgebung finden Sie auf dem Navigator für direkte Demokratie.

Am 20. August dieses Jahres stimmte die ecuadorianische Bevölkerung mit überwältigender Mehrheit gegen die Ölförderung im Block 43 des Yasuni-Waldes. Von den mehr als 82% der Wähler:innen, die zur Stimmabgabe gekommen sind, stimmten fast 60% (58,95%) mit "Ja" auf die Frage "Sind Sie damit einverstanden, dass die ecuadorianische Regierung das ITT-Erdöl, bekannt als Block 43, auf unbestimmte Zeit unter der Erde behält?" Dies ist nicht nur die erste Abstimmung über ein von den ecuadorianischen Bürger:innen initiiertes Thema, sondern auch eine eindrucksvolle Geschichte über die Ausübung der direkten Demokratie sowie über die Entschlossenheit, die sie der Welt abverlangt. Wir haben Jorge Espinosa von der NGO-Koalition Yasunidos interviewt, um mehr über die Volksbewegung zu erfahren, ohne die dieser ermutigende Sieg der direkten Demokratie nicht möglich gewesen wäre.

 

Wie sind Sie zu Yasunidos gekommen?

Mein Name ist Jorge Andres Espinosa, und ich komme aus Quito, Ecuador. Ich bin Mitglied der Yasunidos-Bewegung, die sich schon seit zehn Jahren für das Referendum einsetzt. Ich bin auch Architekt. 

Meine Geschichte, wie ich mich Yasunidos angeschlossen habe, ist sehr emotional. Es war 2009, ich war in der Schule, und ich erinnere mich, dass ich in die Nachrichten über eine Organisation sah, die viele Aktivist:innen vereinte, die den Yasuni-Regenwald schützen wollten. Ich hatte noch nie zuvor von diesem Ort in Ecuador gehört, aber es hat mich sehr bewegt, als ich die Bilder der Natur und der Menschen sah, die dort seit Jahrtausenden leben. Ich bin ein Millennial, und meine Generation war schon immer von Notsituationen umgeben, und wir spürten die Veränderungen um uns herum, so als ob uns die Apokalypse bevorstünde. Diese Bewegung gab mir Hoffnung und einen Sinn im Leben, und so trat ich der Organisation bei und begann, mich aktiv für sie einzusetzen.

 

Können Sie uns einen Überblick darüber geben, welchen Weg die NGO-Koalition in den letzten 10 Jahren zurückgelegt hat?

Der Kampf für den Schutz des Yasuni-Nationalparks dauert nun schon seit 30 Jahren an. In den ersten 20 Jahren war es eine Kampagne, die von verschiedenen Organisationen vorangetrieben wurde, die sich für den Schutz des Parks und der dort lebenden Menschen einsetzten. In den letzten zehn Jahren, nachdem der ehemalige ecuadorianische Präsident Rafael Correa die Yasuni-ITT-Initiative (die 2007 von Rafael Correa ins Leben gerufene Initiative zur Verhinderung der Ölförderung im Ishpingo-Tambococha-Tiputini-Erdölfeld) abgelehnt hatte, wurde Yasunidos gegründet. 

Diese Organisation wurde ins Leben gerufen, weil die Regierung ursprünglich die Ölförderung aus dem Block 43 innerhalb des Yasuni-Parks verbieten wollte. Der 200.000 Hektar große Block im Herzen des Regenwaldes ist der Schlüssel für das Überleben der indigenen Bevölkerung und der isolierten Gemeinden. 

Nachdem der Präsident die Initiative abgelehnt hatte, schlugen die Yasunidos ein nationales Referendum vor, damit das Öl im Boden bleiben können würde. Unmittelbar danach akzeptierte das ecuadorianische Wahlkollegium unseren Vorschlag, und informierte uns über die 500.000 Unterschriften, die gesammelt werden mussten, damit das Referendum durchgeführt werden konnte. In etwa drei Monaten sammelte Yasunidos über 736.000 Unterschriften. Das Problem war, dass, nachdem wir die Unterschriften eingereicht hatten, der Staat das Verfahren boykottierte. Wir fanden heraus, dass die Leute, die die Unterschriften prüften, angewiesen wurden, so viele Unterschriften wie möglich herauszunehmen. Das führte dazu, dass sogar unsere eigenen Unterschriften abgelehnt wurden, mit der Begründung, dass die Unterschriften nicht mit denen im Bürger:innenregister übereinstimmten. Als wir jedoch die Unterschriften verglichen, waren sie genau gleich.

Wir erfuhren erst Jahre später von den abgelehnten Unterschriften. Damit begann ein Schneeballprozess, der schließlich dazu führte, dass das Verfassungsgericht im vergangenen Jahr erklärte, dass das Referendum stattfinden müsse. Im Mai 2023 wurde das Referendum schließlich vom Wahlpersonenkollegium ausgerufen.

 

Wie interpretieren Sie das Ergebnis der Abstimmung? Was bedeutete dieses Ergebnis für die Koalition?

Es handelt sich nicht nur um das erste nationale Referendum, das von den Bürger:innen Ecuadors organisiert wurde, sondern auch um das erste Referendum weltweit, in dem es um den Vorschlag ging, Erdöl in der Erde zu belassen. Das allein sollte schon gewürdigt werden. 

Aber weiterhin ist auch anzumerken, dass im Jahr 2007, als Rafael Correa die Präsidentschaftswahlen gewann, seine Zustimmung bei 56 % lag. Das Yasuni-Referendum erhielt eine Zustimmung von fast 60 %. Es handelt sich also um den wichtigsten Sozialpakt, über den in der Geschichte Ecuadors abgestimmt wurde, seit wir in den 70er Jahren zur Demokratie zurückgekehrt sind.

Für uns bedeutet das, dass wir uns nun zu Verteidiger:innen von Natur und Kultur erklären und eine post-extraktive Gesellschaft anstreben.

 

Gegner:innen der direkten Demokratie behaupten oft, dass die Bürger:innen nicht kompetent genug sind, um große landesweite Entscheidungen zu treffen. Dennoch haben die Ecuadorianer:innen für den Stopp der Bohrungen gestimmt, obwohl viele sagten, dass diese einen großen Beitrag zum Staatshaushalt leisten würden. Warum haben die Menschen so abgestimmt?

Es gibt viele Gründe, die das Ergebnis der Abstimmung erklären können, aber diese lassen sich hauptsächlich auf fünf Punkte reduzieren.  

Erstens: Der Yasuni-Regenwald ist das artenreichste Ökosystem der Erde. Es ist sehr einfach, sich für ihn einzusetzen.

Zweitens: Im Dschungel leben isolierte Gemeinschaften. Deren Rechte wurden in den letzten Jahrzehnten wiederholt verletzt. Tatsächlich wird Ecuador im Fall Tagaeri-Taromenane gegen Ecuador vor dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte verlieren. Es wird gerade geurteilt, dass Extraktivismus ein Massaker an den isolierten Gemeinden von Tagaeri und Taromenane darstellt. Ich glaube, der zweite Grund ist also, dass wir uns dessen bewusst sind und nicht Teil dieses Genozids sein wollen.

Weiterhin hat sich die finanzielle Situation der Bevölkerung in den letzten 50 Jahren, in denen Ecuador als Ölförderland aktiv gewesen ist, nicht verbessert. Tatsächlich durchläuft Ecuador momentan eine sehr harte wirtschaftliche Rezession, die zum Teil auf die Abhängigkeit von Öl als Haupteinkommensquelle zurückzuführen ist. Wir haben die Armut nicht wirklich verlassen.

Grund Nummer vier ist, dass sich die größten Katastrophen der Ölförderung in der Nähe von, oder in Ecuador ereignet haben. Es gab die Grupo Mexico Katastrophe, die von Exxon Valdez in Alaska und Chevron-Texaco in Ecuador. Über 900 Lachen mit verseuchtem Wasser wurden hinterlassen und vergifteten den Dschungel. Das ist eine Narbe in unserer Geschichte, und wir wissen, dass die Ölförderung starke negative Auswirkungen auf die Gemeinden und auf die Natur hat. 

Und schließlich wissen wir jetzt, dass die einzigen, die von der Ölförderung profitieren, internationale Unternehmen sind, die keinen Beitrag zur ecuadorianischen Bevölkerung leisten. Die Einheimischen, die im Block 43 des Yasuni-Regenwaldes leben, werden erpresst und manipuliert, um mit "Nein" zu stimmen.

 

Wie reagiert die Regierung auf diese verbindliche Abstimmung und ihre Aktionspläne?

Die Regierung war schon immer gegen die partizipative Demokratie, und es ist fast ein natürlicher Konflikt. Die Verbindung von repräsentativer Demokratie und Kapitalismus erleichtert den Extraktivismus im globalen Süden. 

Natürlicherweise hat die Regierung während der letzten drei Präsidentschaftsamtszeiten das Referendum in gewisser Weise boykottiert. Nachdem das Gericht das Referendum zugelassen hatte, manipulierte die Regierung viele Fakten, wie z. B. die Auswirkungen der Ölbohrungen im Block 43 auf die Wirtschaft Ecuadors. Während des Wahlkampfs wurde die "Ja"-Kampagne radikal bekämpft mithilfe der Behauptung, die Verweigerung der Ölförderung würde zu wirtschaftlicher Instabilität führen. Viele Wissenschaftler:innen bezeichneten dies als einen Bluff.

Jetzt, nach dem Sieg von Yasuni, hat die Regierung ein Jahr Zeit, um mit der Beseitigung der Ölbohrungsinfrastruktur in dem Block zu beginnen. Aus den Erklärungen geht hervor, dass die Regierung keinen wirklichen Plan dafür hat und immer noch die Tatsache ablehnt, dass der Block geräumt werden muss.

 

Hat die Koalition irgendwelche Pläne für die Zukunft, insbesondere im Hinblick auf die Reaktion der Regierung?

Ja! Die Abstimmung ist das Ergebnis von vielen verschiedenen Menschen und Organisationen. Als Nächstes werden wir uns mit indigenen Organisationen treffen, um durch die Perspektive der Ureinwohner:innen den Plan zur Überwindung des Extraktivismus in den Gebieten des Yasuni-Parks auszuarbeiten. Dazu werden wir viel internationale Hilfe benötigen. Die Zukunft des Yasuni-Parks nach dem Extraktivismus beginnt mit diesem Referendum, und das ist nur das erste Kapitel dieses Buches. Jetzt müssen wir anfangen, über den Übergang nachzudenken. 

 

Wenn die Stimmen nun abgegeben sind, welche Rolle spielt dann die internationale Gemeinschaft bei der Unterstützung dieser zukünftigen Kapitel des Yasuni-Buches?

Jetzt, wo die Welt uns viel Aufmerksamkeit schenkt, können wir darüber nachdenken, wie Expert:innen aus aller Welt dazu beitragen können, eine weltweite Koalition zu bilden. Damit können wir anfangen, darüber nachzudenken, wie wir dieses Ökosystem in den nächsten Jahrhunderten erhalten können. Eine weitere Dimension ist das Nachdenken über wirtschaftliche Brücken für Finanzmittel, auf die die indigenen Organisationen direkt zugreifen könnten, um ein neues wirtschaftliches Ökosystem auf ihrem Land zu schaffen.

 

Wie würden Sie die Erfahrung beschreiben, ein Instrument der direkten Demokratie zu nutzen?

Für mich ist es eine Art Umgehung. Der Extraktivismus entsteht durch die Verbindung von repräsentativer Demokratie und Kapitalismus. Die einzige Möglichkeit, diese zu überwinden, ist die Schaffung von solchen Umgehungsmöglichkeiten. Die direkte Demokratie ist eine echte Möglichkeit, Veränderungen zu erreichen. Wir müssen alles auf der Grundlage von Menschen neu ausrichten, die auf ihrem Land bleiben und alle Entscheidungen auf diesem Land treffen wollen. Das können wir dadurch erreichen, dass wir eine Konföderation verschiedener Gemeinschaften schaffen, die selbst die vollständige Kontrolle über ihre Ressourcen hat. Dies zu erreichen und zu verwalten, kann nur durch direkte Demokratie geschehen. 

 

Abschließend möchte ich sagen, dass dies eine eindrucksvolle Geschichte über die Praxis der direkten Demokratie ist. Haben Sie einen Rat für diejenigen, die in ihren Ländern direktdemokratische Instrumente einsetzen?

Ein echter Ratschlag, den ich geben würde, ist, eine Koalition aus verschiedenen Organisationen zu bilden. Die Macht der Politik des alten Stils soll nicht gebrochen werden. In dem Moment, in dem man sie durchbrechen will, innovativ sein oder ein neues Ökosystem schaffen will, wird die alte, etablierte Politikschule dies ablehnen. Weiterhin muss man einen Weg finden, der nicht in Konflikt mit dem Staat steht, einen Weg der Veränderung, den der Staat nicht ablehnen wird. Dies ist möglich, wenn man starke Gesetze hat, die die Rechte der partizipativen Demokratie schützen.

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