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Europas großes demokratisches Experiment: The good, the bad and the ugly

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Europas großes demokratisches Experiment: The good, the bad and the ugly

10-11-2021

Mitte September begann die erste Phase des europäischen Demokratieexperiments: 800 nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Bürger*innen trafen sich in fünf europäischen Städten und online, um Vorschläge zu den neun Kategorien der Zukunft Europas zu erarbeiten. Wie bewerten wir die Konferenz über die Zukunft Europas bisher?

Von Daniela Vancic

Die Konferenz über die Zukunft Europas (CoFoE) ist eine innovative Neuheit auf europäischer Ebene, die sich auf zufällig ausgewählte Bürger*innenversammlungen, die so genannten Europäischen Bürger*innenpanels (ECPs), stützt. Bürger*innenversammlungen liegen in der europäischen demokratischen Welt auf nationaler und lokaler Ebene voll im Trend, aber beim CoFoE sind sie insofern einzigartig, als 80 der 800 Bürger*innen für die Konferenzplenarsitzung ausgewählt werden, wo sie eingeladen sind, gemeinsam mit europäischen Politiker*innen und Politiker*innen der Mitgliedstaaten zu diskutieren. Die vollständige Struktur des CoFoE finden Sie hier.

So sehr wir auch die Initiative der EU begrüßen, die Bürger*innen in die Ausarbeitung künftiger politischer Vorschläge einzubeziehen, so muss doch die Umsetzung der ECPs und, was noch problematischer ist, die Plenarversammlung der Konferenz in Angriff genommen werden. Democracy International hat zusammen mit der "Citizens Take Over Europe"-Koalition einen Kontrollindex erstellt, um die Konferenz regelmäßig zu bewerten und Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten. 

Die folgenden Indexzahlen sowie die Kriterien für jede einzelne Zahl wurden unter Berücksichtigung der 10 Grundsätze für eine bürger*innennahe Konferenz und der Standards im Einklang mit einem sinnvollen europäischen demokratischen Beteiligungsprozess ausgewählt und entwickelt. Diese Bewertung ist das Ergebnis von Beobachtungen der Konferenz vor Ort, einschließlich Live-Beobachtungen durch Democracy International. Sie dient als Zwischenbericht, wobei die endgültige Bewertung im Frühjahr 2022 veröffentlicht wird. Auf einer Skala von 1 (schlecht) bis 5 (ausgezeichnet) ergibt sich folgender Index:

Partizipativ - 3 
Wir begrüßen den "Blanko-Blatt"-Ansatz bei der Festlegung der Tagesordnung in der ersten Runde der ECPs, bei dem die Teilnehmenden aufgefordert wurden, ihre langfristigen Visionen in Bezug auf ein umfassendes und komplexes Spektrum von Themen, die jedem Panel zugeordnet sind, mitzuteilen und so die Tagesordnung ihres jeweiligen Panels festzulegen. Der Prozess der Änderung und Modifizierung der Unterthemen und "Streams" ist ein partizipatorischer und offener Prozess, bei dem die Bürger*innen in vollem Umfang eingeladen sind, ihr Feedback und ihre Bedenken vorzubringen. Nach einer von den Bürger*innen geführten Debatte über die vorgeschlagenen Änderungen wird eine demokratische Abstimmung darüber durchgeführt, welche Änderungen angenommen oder abgelehnt werden. Die Erarbeitung der Themen wird als ermächtigend angesehen, und die Bürger*innen werden ermutigt, sich durchzusetzen. 

Dieser Prozess und die Anzahl der Themen pro Panel führten jedoch oft zu einer viel zu großen Bandbreite, die in dem begrenzten Zeitrahmen von nur drei Wochenenden nicht gründlich diskutiert werden konnte. So besteht beispielsweise bei Panel 1, das die Themen Wirtschaft, soziale Gerechtigkeit, Arbeitsplätze, Bildung, Jugend, Kultur, Sport und digitale Transformation abdeckt, die Gefahr, dass zu viele Themen in zu kurzer Zeit behandelt werden und die dem Panel zugewiesenen Bürger*innen überfordert werden. Außerdem wurden die Bürger*innen nicht dazu befragt, wie der Prozess selbst organisiert werden sollte.

Leider ist die einzige Möglichkeit zur Teilnahme an der Konferenz für nicht ausgewählte Bürger*innen die digitale Plattform. Ideen, die von der Digitalen Plattform stammen, werden manchmal in den ECPs erwähnt, zum Beispiel indem Expert*innen gebeten werden, auf die Ideen der Digitalen Plattform zu reagieren. Die Einträge auf der Digitalen Plattform sind jedoch unausgewogen, z. B. in Bezug auf das Geschlecht, denn nur 15 % der Nutzer*innen bezeichnen sich selbst als weiblich. Darüber hinaus wird die Digitale Plattform in den Untergruppen des ECP noch nicht in vollem Umfang und strukturiert berücksichtigt. 

Umfassend - 2
Es ist sehr zu begrüßen, dass die ECPs ein Sortierverfahren verwenden, bei dem 800 zufällig ausgewählte Bürger*innen ausgewählt werden, die die Vielfalt der EU in Bezug auf geografische Herkunft (Nationalität und Stadt/Land), Geschlecht, Alter, sozioökonomischen Hintergrund und Bildungsniveau repräsentieren. Es werden große Anstrengungen unternommen, um die Jugend einzubeziehen, denn ein Drittel der Bürger*innen ist zwischen 16 und 25 Jahre alt. Abgesehen von Geschlecht und Jugend werden jedoch keine Daten zur Verfügung gestellt, die eine gründliche Bewertung der sozioökonomischen, ethnischen und geografischen Eingliederung der vier Panels ermöglichen.

Insbesondere ist es höchst bedenklich, dass Randgruppen nicht angemessen vertreten sind, wobei auch Schwellenwerte für gefährdete Gruppen festgelegt werden sollten, einschließlich, aber nicht beschränkt auf farbige Menschen, nicht-binäre Geschlechtsidentitäten, Menschen mit Migrationshintergrund, in der EU ansässige Personen, EU-Beitrittskandidat*innen und Bürger*innen, die unterschiedliche EU-Einstellungen vertreten. Um die Stimmen derjenigen zu verstärken, die in der EU kaum Gehör finden, ist es notwendig, diese schutzbedürftigen Gruppen, die mit herkömmlichen Mitteln nicht so leicht erreicht werden können, zusätzlich zu berücksichtigen. Ohne eine wirklich integrative Auswahl der Bürger*innen läuft die Zukunft Europas Gefahr, marginalisierte und gefährdete Gruppen weiter zu entfremden. 

Beratend - 3
In Anbetracht des Ziels der ersten ECP-Runde, die Tagesordnung festzulegen, stehen deliberative Mechanismen noch nicht im Mittelpunkt, was sich in künftigen Sitzungen voraussichtlich ändern wird. In den ECP-Untergruppen wird die Redezeit der Bürger*innen bisher sehr unterschiedlich gehandhabt, so dass keine Person die Diskussionen dominiert. Im Vergleich zum Plenum der Konferenz werden die Entscheidungen, die im ECP getroffen werden, wie z.B. die Änderung der fünf Streams und Unterthemen, in einer deliberativen, offenen und demokratischen Weise durchgeführt. 

Es bleibt jedoch abzuwarten, ob die überwältigend große Bandbreite der in den ECPs erörterten Themen die Gefahr birgt, dass in den einzelnen Gremien nicht genügend Zeit für eingehende und sinnvolle Beratungen zur Verfügung steht. Obwohl in der ersten Phase keine große Vielfalt an Meinungen und Perspektiven zur Zukunft Europas geäußert wurde und somit die Gefahr besteht, dass eine rein pro-europäische Filterblase entsteht, haben die Bürger*innen viele kritische Stimmen geäußert. 

Die Moderation in den ECP-Untergruppen wirft ein zweifaches Problem auf: Erstens variiert die Qualität der Moderation von Untergruppe zu Untergruppe, zumal viele Moderator*innen mehrere Aufgaben der Diskussionsleitung und des Protokollierens wahrnehmen. Zweitens waren die Untergruppen mit einer Wissenslücke konfrontiert, wenn es um spezifische und technische Fakten im Zusammenhang mit dem Thema ging. Da die Moderator*innen nicht unbedingt Expert*innen für das Thema selbst sind, haben sich die Diskussionen in eine Richtung entwickelt, die nicht auf Fakten beruht. 

Offen - 4
Die Bürger*innen sind willkommen und werden ermutigt, sich zu Wort zu melden, sich gegenseitig infrage zu stellen und ihre eigenen Vorschläge und Ideen einzubringen. Obwohl die Bürger*innen nicht in der Lage waren, ihre eigene Agenda in Bezug auf die Themen der Panels festzulegen, erfolgt der Prozess der Neuformulierung der fünf Streams in einer offenen und transparenten Weise, bei der die Bürger*innen die Themen nach eigenem Ermessen ändern können, solange eine Mehrheit zustimmt. 

Themen, die mit dem Wandel der Abkommen in Zusammenhang stehen, können vorgeschlagen und diskutiert werden und auch als Stream oder Unterthema aufgeführt werden. 

Obwohl unabhängige Beobachter*innen mit vorheriger Genehmigung die ECPs vor Ort überwachen können, besteht ein größerer Bedarf an Transparenz, Klarheit und Straffung der Einladung von Beobachter*innen.

Erreichbar - 4
Die Livestream-Funktion ermöglicht es allen interessierten Personen und der Zivilgesellschaft, die Plenarsitzungen der ECPs in allen offiziellen EU-Sprachen zu verfolgen. Alle öffentlichen Dokumente, einschließlich der beschlossenen Streams und Unterthemen, werden auf der digitalen Plattform in allen EU-Sprachen hochgeladen. Eine Ausnahme bildet die Liste der themenbezogenen Expert*innen, die oft erst am Tag der Expert*innenbeiträge eingestellt wird. Eine Liste der Mitglieder des Konferenzplenums, einschließlich der Politiker*innen auf EU- und nationaler Ebene, ist nicht öffentlich zugänglich, was im Hinblick auf die demokratische Zugänglichkeit und Transparenz höchst problematisch ist. 

Leider waren frühere Sitzungen der ECPs nicht, wie von den EU-Staats- und Regierungsoberhäuptern angekündigt, auf der Homepage der digitalen Plattform verfügbar, so dass die Plenarsitzungen auf den verschiedenen Seiten der europäischen Institutionen nur schwer zu finden sind. 

Auch die Untergruppen sind für die breite Öffentlichkeit nicht zugänglich. Bei allem Verständnis für die Notwendigkeit des Schutzes des Diskussionsraums und der Privatsphäre in den Untergruppen könnten die Transparenz und die Zugänglichkeit der Ergebnisse der Untergruppen verbessert werden, indem die Notizen und Ergebnisse der Untergruppen veröffentlicht und die Namen der einzelnen Bürger*innen zurückgehalten werden.

Sichtbar - 1
Die Europäischen Bürger*innenpanels und die Konferenz über die Zukunft Europas als Ganzes haben leider nur sehr wenig Medienpräsenz in den Mitgliedstaaten, auf regionaler Ebene oder in den lokalen Medien erhalten. Es gibt Diskrepanzen zwischen den Mitgliedstaaten bei der Kommunikation der nationalen Regierungen über die Konferenz.  

Attraktiv/Spaß - 5
Die ECPs bieten eine einzigartige und besondere Gelegenheit, die auch ein besseres kulturelles Verständnis und den Austausch zwischen Bürger*innen aus allen Teilen Europas ermöglicht. Es gibt ausreichend Zeit und Möglichkeiten für soziale und kulturelle Veranstaltungen zwischen den Sitzungen, einschließlich Abendveranstaltungen. Es gibt Mechanismen, die es den Bürger*innen ermöglichen, ihre Sprachpräferenzen zu nennen, so dass sie auch außerhalb der ECP-Sitzungen auf einer intrapersonellen Ebene miteinander kommunizieren können. 

Effektivität - ?
Die Wirksamkeit kann in diesem frühen Stadium der Konferenz nicht gemessen werden, aber sie wird in hohem Maße davon abhängen, wie das Plenum der Konferenz die Ergebnisse der ECPs behandeln wird und welchen politischen Einfluss die ECPs auf den Abschlussbericht der Konferenz haben werden, der im Frühjahr 2022 vorgelegt werden soll. Wenn sich die Konferenz als politisch einflussreich erweist und die Ergebnisse der Bürger*innen wirksam berücksichtigt, kann sie die oben genannten technischen, methodischen und verfahrenstechnischen Rückschläge aufwiegen. Wenn die Konferenz nicht zu Ergebnissen führt, die die Ergebnisse der ECPs widerspiegeln, und wenn die Bürger*innenversammlungen als Form der Bürger*innenbeteiligung nicht dauerhaft bestehen bleiben, dann besteht die Gefahr, dass die Konferenz zu einem demokratischen Experiment wird, das scheitert. 

 

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