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Participants of the Study Tour - Photo by Jan Hagelstein

Face-to-face mit den Bürger*innen der irischen Citizen Assembly

12-03-2019

Die irische “Citizen Assembly” ist vielleicht eine der bekanntesten Beispiele für das alternative Beteiligungsverfahren der Bürgerversammlungen, welche sich aus zufällig ausgewählten Bürger*innen zusammensetzt, die über wichtige nationale Themen beraten. Die “Irish Citizens’ Assembly” und ihr Vorgänger, der Verfassungskonvent, haben zusammen bisher drei Referenden durchgeführt. Als deren Ergebnisse der irischen Bevölkerung vorgelegt wurden, standen sie trotz der skeptischen Vorhersagen von Experten im Einklang mit dem öffentlichen Meinungsbild. Was genau war an dem irischen Ansatz zur Einbeziehung von Alltagsbürger*innen ins politische Agenda-Setting so besonders?

Von Daniela Vancic.

Democracy International führte im Auftrag von Mehr Demokratie vom 23. bis 25. Januar eine Studienreise für interessierte Aktivist*innen und Experten*innen nach Dublin durch. Während den Tagen der Exkursion trafen wir uns mit führenden Experten und Stakeholdern der irischen „Citizens’ Assembly“ und des Verfassungskonvents. Sie gaben Aufschluss über rechtliche, administrative und politische Aspekte, die bei der Organisation und Durchführung von mehrstufigen Bürgerbeteiligungsprozessen, wie der „Citizens’Assembly“, zu beachten seien.

Enda Kenny, der zum Zeitpunkt der Gründung des Verfassungskonvents im Jahr 2012 Premierminister war, wandte sich zu Beginn der dreitägigen Tour an die Teilnehmer*innen. Herr Kenny sprach mit uns über das irische Regierungsgeschäft zum Zeitpunkt der Wirtschaftskrise und die Forderung nach mehr Bürgerbeteiligung und Transparenz, welche durch die Krise ausgelöst wurden. Der öffentliche Druck war vorhanden, aber umso wichtiger sei der politische Wille zum Wandel gewesen.

David Farrel, der als Erfinder der irischen „Citizen’s Assembly“ angesehen wird, gab Einblick in die akademische Sichtweise von Bürgerversammlungen und zeigt auf, wie sich die politische Einstellung gegenüber bestimmten Themen mit wachsendem politischem Wissen und staatsbürgerlicher Bildung der Bürger*innen verändert. Der Weg zum ursprünglichen Verfassungskonvent wurde auch durch die Lobbyarbeit eines demokratischen Beteiligungsprojekts namens „We The Citizens in Irland“ geebnet, das von Farrell und Jane Suiter geleitet wurde und an verschiedenen Standorten in Irland stattfand. Das Projekt „We The Citizens“ diente als erster Test vor der Institutionalisierung des Verfassungskonvents.

Der Verfassungskonvent von 2012 bestand neben 33 Politiker*innen und einem Vorsitzenden aus 66 zufällig ausgewählten Bürger*innen, welche die demografische Zusammensetzung Irlands repräsentierten. Über einen Zeitraum von neun Wochenenden wurden einige der kontroversesten Themen in der irischen Gesellschaft angesprochen, zu welchen sich bspw. die gleichgeschlechtliche Ehe, Irlands Blasphemiegesetz, die Absenkung des Wahlalters, die Dauer von politischen Amtszeiten und das Stimmrecht für irische Bürger*innen im Ausland zählen. Der Konvent bot den Bürger*innen die einzigartige Möglichkeit, gemeinsam mit ihren Vertreter*innen politische Empfehlungen zu allen ausgewählten Themen zu erarbeiten. Vorträge und Interaktionen mit einem Expertenbeirat aus Wissenschaftlern, Politikwissenschaftlern und Verfassungsrechtlern informierten über ihre Debatten.

Es wurde Geschichte geschrieben, als zum ersten Mal überhaupt Empfehlungen eines solchen Gremiums in ein Referendum eingebracht und von den irischen Wähler*innen gebilligt wurden. Im Mai 2015 wurde die gleichgeschlechtliche Ehe Teil der irischen Verfassung.

Auch die darauffolgende „Irish Citizens' Assembly 2016“ war beeindruckend. Sie setzte sich diesmal aus 100 zufällig ausgewählten Bürger*innen zusammen und wurde nur von neutralen Moderator*innen geleitet. Die Mitglieder der Versammlung nahmen die Rolle von Entscheidungsträger*innen ein. Dabei waren sie für die Abgabe von Gesetzesempfehlungen zu Themen wie Abtreibung, der festgesetzten Befristung von Legislaturperioden, Referenden und Klimawandel verantwortlich. Ein Expertenbeirat stand den Mitgliedern zur Verfügung, um alle ihre Fragen zu beantworten und Hintergrundinformationen zu den Themen zu liefern. Bevor die beiden Referenden über die Themen Abtreibung und Blasphemie stattfanden, wurden die Empfehlungen der „Citizens‘ Assembly“ veröffentlicht, um von der irischen Bevölkerung überprüft zu werden.

Dabei verlief vor allem die Diskussion zum Thema Abtreibung kontrovers. Irland war dafür bekannt, eines der strengsten Abtreibungsgesetze in Europa zu haben und selbst führende irische Experten waren skeptisch, inwiefern das Gesetz reformiert werden könnte. Tatsächlich waren es wohl die Empfehlungen der Versammlung, die das Volk dazu veranlasst haben, beim obligatorischen Verfassungsreferendum im vergangenen Jahr für eine ernsthafte Liberalisierung der Abtreibungsgesetze in Irland zu stimmen. Die „Citizens‘ Assembly“ stimmte zu 64% dem endgültigen Entwurf einer Abtreibungsempfehlung zu, gefolgt von 66% der irischen Bürger, welche dem gleichen Text im Referendum zustimmten. Diese marginale Differenz zeigt an, dass die Bürgerversammlungen ein repräsentatives Abbild der Gesellschaft widerspiegeln können und deren Entscheidungen gleichzeitig auf ein hohes Maß an Akzeptanz unter nichtinvolvierten Mitbürger*innen stoßen. Wenn eine Gruppe von zufällig ausgewählten Büger*innen zusammenkommen, um über die umstrittensten gesellschaftlichen Fragen zu diskutieren, können dabei Lösungen zu Stande kommen, welche das gesamtgesellschaftliche Meinungsbild wiederspiegeln können.

Der letzte Tag unserer Tour endete mit einem gemeinsamen Mittagessen zusammen mit drei echten Mitgliedern der Citizens‘ Assembly. Nach drei langen Tagen, in denen ich selbst die Besonderheiten des irischen Deliberationsprozesses kennengelernt und selbst zu einer Schülerin des irischen Beispiels geworden bin, fühlte sich das persönliche Gespräch mit den Bürger*innen der Versammlung wie ein Treffen mit irischen Prominenten an. Es war ein faszinierender Abschluss unserer Reise, die Erfahrungen der Bürger*innen aus erster Hand zu hören, welche die Geschichte Irlands geprägt haben. Wir haben gelernt, dass die Iren sehr stolz auf ihren einzigartigen deliberativen Entscheidungsprozess sind. Die Debatte über die partizipative Demokratie wurde auf eine neue Ebene gehoben und es ist dem im gesamten Prozess eingebetteten Wertekanon aus Integrität, Respekt und Authentizität zu verdanken, dass das irische Modell als Erfolgsgeschichte angesehen werden kann.

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