Der Digital Democracy Day ist ein Tag der Anerkennung und des Beifalls für die Anstrengungen, die in ganz Europa unternommen werden - von der lokalen über die nationale bis hin zur EU-Ebene - um die Demokratie zu modernisieren, damit sie den Realitäten des 21. Jahrhunderts genügt. Organisiert von unserem Partner ECAS und mit über 140 angemeldeten Teilnehmern für die Veranstaltung am 27. Februar in Brüssel, wurde auch der digitale Aspekt des Digital Democracy Day 2018 umgesetzt, indem fast 4000 Menschen den Livestream via Facebook erreichten.
Das Thema in diesem Jahr war Crowdsourcing auf EU-Ebene und wie man mit diesen Methoden sicherstellen kann, dass Entscheidungen mit den Bürgern getroffen werden und nicht für sie. Crowdsourcing ist eine Möglichkeit, Probleme zu lösen und neue Ideen zu entwickeln, indem man sich online mit Leuten verbindet, die man sonst nicht erreichen würde. Da Informationen über das Internet blitzschnell ausgetauscht werden, haben die Bürger die Möglichkeit, von anderen online zu lernen und zusammen zu arbeiten. Internet und Crowdsourcing können den Bürgern neue Instrumente an die Hand geben, um sich selbst zu organisieren, am demokratischen Prozess teilzunehmen und sich über Entscheidungsprozesse in ihren Gemeinden zu informieren. Im politischen Bereich kann Crowdsourcing in vielen Phasen der Gesetzgebung stattfinden. Im Detail ist es hilfreich bei Prozessen der Problemerkennung, Argumentation, Entscheidungsfindung und sogar bei der Implementierung von Lösungen.
Die Kernfragen der Konferenz mit zwei Podiumsdiskussionen waren: Könnte Crowdsourcing der richtige Weg sein, um die Unionsbürgerschaft zu fördern? Und kann sie die Bedingungen für eine zivile und demokratische Beteiligung auf EU-Ebene verbessern, um zum Verständnis der Bürger für die politischen Entscheidungsprozesse in der EU beizutragen? Um diese Fragen zu beantworten, lud ECAS 13 Referenten aus ganz Europa ein.
Im Mittelpunkt des ersten Panels standen die Erfahrungen der Bürger auf nationaler Ebene. Hier wurden vier Plattformen zur Stärkung der Bürgerbeteiligung auf lokaler Ebene vorgestellt und diskutiert. Imants Breidaks, Geschäftsführer von ManaBalss.lv in Lettland, zeigte, dass sie eine digitale Demokratie-Infrastruktur unterhalten und entwickeln, die es den Bürgern ermöglicht, die Gesetzgebung und Politik in ihrem Land mitzugestalten. 70 % der Letten haben die Website besucht, 200.000 Menschen in Lettland haben mindestens einmal auf ihr abgestimmt und 50 % aller auf der Plattform registrierten Initiativen erhielten die erforderliche Anzahl von Stimmen, um einen Gesetzgebungsakt einzuleiten. Nicht nur die Zahlen selbst sind beeindruckend, sondern es ist auch eine der Leitlinien der Plattform, dass Bürgerinnen und Bürger Zugang zu höchster politischer Macht haben sollten, ohne Experten für juristische Artikel sein zu müssen.
Nicolas Patte vom Projekt "Parlement & Citoyens" kritisierte anschließend archaische Instrumente der Politikgestaltung in Frankreich, da die Menschen heute viel informierter, vernetzter und intelligenter sind - deshalb wollen die Bürgerinnen und Bürger heute mehr denn je in die Entscheidungen einbezogen werden, von denen sie betroffen sind. Die Plattform mit dem Leitmotiv der parlamentarischen und bürgerlichen Zusammenarbeit beim Ausarbeiten von Gesetzen, möchte einen möglichst transparenten Prozess ermöglichen, der jedem Wissen und jeder Weisheit offen steht. Wie Patte treffend sagte: "Die Anzahl der Teilnehmer macht die Teilnahme nicht zu einem Erfolg oder Misserfolg". Viel wichtiger ist "die Vielfalt, die von kollektiver Intelligenz zur Sprache gebracht wird". Und nicht nur diese beiden Plattformen berichteten über gute Erfahrungen mit Crowdsourcing auf lokaler Ebene. Andere Redner bestätigten das positive Feedback der Bürger und ihren Willen, sich aktiv an der politischen Entscheidungsfindung zu beteiligen.
Das zweite Panel, das Ideen für ein Crowdsourcing-Pilotprojekt auf EU-Ebene vorstellte, nutzte die auf lokaler Ebene gesammelten Erfahrungen, um ein mögliches Crowdsourcing-Projekt transnational zu gestalten. Das übergeordnete Ziel von Crowdsourcing auf EU-Ebene sollte darin bestehen, die Bürger darüber zu informieren und zu sensibilisieren, wie sie an der Entscheidungsfindung teilnehmen können, das Konzept der aktiven europäischen Bürgerschaft zu fördern und die Bedingungen für eine demokratische Beteiligung der Bürger im Allgemeinen zu verbessern. Dies wird nicht nur das Vertrauen in die europäischen Institutionen stärken, sondern den Bürgerinnen und Bürgern in der EU deren supranationale Politikgestaltung näher bringen und ihnen in erster Linie eine Stimme geben.
In diesem Zusammenhang verkündete Elisa Lironi, Digital Democracy Managerin von ECAS, den Vorschlag der Organisation, einen Pilotversuch auf EU-Ebene zum Thema Luftqualität durchzuführen. Luft ist wie Wasser ein grundlegendes Menschenrecht, das jeder auf persönlicher Ebene unterstützen kann und bei dem politische Bereitschaft erkennbar ist . Die Luftverschmutzung ist allein in Europa für jährlich 400.000 vorzeitige Todesfälle verantwortlich, und die geschätzten Kosten belaufen sich auf über 330 Milliarden Euro. ECAS empfiehlt den Einsatz von Crowdsourcing vor allem in zwei Phasen des Politikzyklus: Themenfindung und Politikformulierung. Die Bürgerinnen und Bürger würden zuerst alltägliche Probleme in ihrem Leben identifizieren, und dann kommunizieren, wie sie denken, dass Entscheidungsträger diese Probleme lösen sollten. Für die Wahlen 2019 hat sich ECAS das Ziel gesetzt, alle Spitzenkandidaten zu erreichen, damit diese sich zum Thema bekennen und Bürgerideen mehr berücksichtigen, wenn sie gewählt werden wollen. Um das Pilotprojekt zum Erfolg zu führen, müssen zivilgesellschaftliche Akteure und NGOs als Vermittler zwischen Bürgern und politischen Institutionen eingebunden werden.
Darüber hinaus war der Grundton in diesem zweiten Teil der Konferenz nicht nur optimistisch und voller Veränderungsbereitschaft, sondern es kamen auch kritische Stimmen zum Einsatz von Crowdsourcing und seinen Grenzen zu Wort. So warnte Stefan Schaefers, Leiter der Abteilung für europäische Angelegenheiten der König-Baudouin-Stiftung, dass ein Pilotprojekt auf EU-Ebene jetzt sogar gefährlich sein könnte, da die Wahrscheinlichkeit eines Scheiterns aufgrund der fehlenden Zeit bis zu den Wahlen 2019 sehr hoch ist. Er sagte auch, dass es eine Repräsentativität in den Antworten der Bürger geben müsse, was im Internet schwer zu erreichen sei, da in der Vergangenheit aktive Interessengruppen die Diskussionen dominierten. Für Rasmund Ojvind Nielsen, Researcher der Danish Board of Technology Foundation, steht zudem fest, dass Crowdsourcing in digitaler Form den Weg zu gefälschter Teilnahme ebnet und dass bei einem nur online stattfindendem Dialog der beratende Aspekt zu kurz kommt. Demnach ist ‚Blended Participation‘ eine unabdingbare Voraussetzung für die E-Demokratie in der EU. Hierbei werden traditionelle Methoden der Face-to-Face-Beteiligung wie Workshops oder Bürgerforen mit E-Partizipation in Einklang gebracht. Darüber hinaus erleichtert die Kombination von On- und Offline-Methoden den politischen Eliten die Rekalibrierung ihres politischen Kompasses mit Hilfe von Bürgern.
Im Gegensatz zu den Zweifeln der anderen Redner stellte Aline Muylaert von CitizenLab eine Plattform vor, die bereits von 65 Regierungen weltweit genutzt wird und es den Bürgern ermöglicht, die Website nach ihren persönlichen Interessen und ihrem Standort zu personalisieren und zu filtern. Mit dieser Plattform, die potenziell das zukünftige Hauptinstrument für Crowdsourcing auf EU-Ebene sein könnte, sind Regierungen in der Lage, Bürger in Beteiligungsprojekten zu involvieren, Bürgerbeiträge zu verwalten und ihre Bedürfnisse auf der Grundlage von Dateneinsichten besser zu verstehen. Die Empfehlung von Frau Muylaert für ein EU-Pilotprojekt besteht unter anderem darin, die Bürgerbeteiligung durch die Visualisierung des Entscheidungsprozesses zu fördern, um ihn für das Volk transparenter zu machen.
Was als Gesamteindruck der Konferenz bleibt, lässt sich mit den Worten von Gilles Pelayo in seinem Eröffnungsvortrag zusammenfassen: “Crowdsourcing-Tools können eine sehr wichtige Rolle in der demokratischen Entwicklung spielen“. Gleichzeitig sollte man sich bewusst sein, dass zumindest das Online-Crowdsourcing ein komplementäres, jedoch nicht ersetzendes politisches Instrument ist. Darüber hinaus schien die Mehrheit mit dem überein zu stimmen, was Josien Pieterse von ‚Netwerk Democratie‘ sagte: "Die repräsentative Demokratie kann ohne mehr deliberative Demokratie nicht überleben". Daher ist die Beteiligung der Bürger auf Crowdsourcing-Plattformen ein Schritt in die richtige Richtung.