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Gescheiterte Volksabstimmungen und Direkte Demokratie in der Slowakei

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Photo courtesy of @Edmond Dantès from Canva Pro https://www.canva.com/

Gescheiterte Volksabstimmungen und Direkte Demokratie in der Slowakei

08-02-2023

Am 21. Januar 2023 waren die Bürger:innen der Slowakei zum 9. Mal seit der Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1993, dazu aufgerufen, in einem nationalen Referendum abzustimmen. Dieses Kapitel ist die jüngste Entwicklung in der politischen Spaltung, die das Landes ergriffen hat.

Alles begann mit einem Misstrauensvotum gegen Eduard Heger (Premierminister seit 2021) Ende des Jahres 2022. Dem Premierminister wurde das Misstrauen ausgesprochen, woraufhin er als Chef einer Minderheitsregierung laut Verfahren entweder eine neue Koalition hätte bilden müssen – etwas was von der Opposition abgelehnt wurde – oder er hätte zurücktreten müssen. Während Zuzana Caputova, die Präsidentin der Slowakischen Republik, eine neue Regierung ernennen sollte, die das Land führen würde, forderten die Oppositionsparteien anstelle dessen vorgezogene Neuwahlen. Diese Möglichkeit ist laut Verfassung vorgesehen, erfordert aber die Zustimmung von zwei Dritteln der Abgeordneten. Da diese Bedingung nicht erfüllt wurde, beschlossen die Oppositionsparteien, durch eine Verfassungsreform, über die die Bürger:innen abstimmen sollten, Neuwahlen zu fordern.

Direkte Demokratie in Form von Referenden ist in der slowakischen Verfassung fest verankert: “Die Staatsgewalt geht von den Bürger:innen aus, die sie durch ihre gewählten Vertreter oder direkt ausüben". Vor einigen Wochen, zum 9. Mal seit der slowakischen Unabhängigkeit, hatten wir die Gelegenheit, genau das live mitzuerleben. Die Anforderungen für ein Referendum in der Slowakei sind recht eindeutig. Zunächst müssen 350.000 Unterschriften gesammelt werden (entspricht 8 % der Wahlberechtigten). Außerdem müssen nicht nur mehr als 50 % der Wahlberechtigten mit JA stimmen, damit der Vorschlag angenommen wird, sondern es müssen sich auch mehr als 50 % der Wahlberechtigten an der Wahl beteiligen.

Über eine Zeitspanne von fast drei Jahrzehnten wurden den Bürger:innen zahlreiche Fragen aus verschiedensten Themenbereichen gestellt, darunter zu politischen Reformen oder zur gleichgeschlechtlichen Ehe - aber nur eine einzige, das Referendum über die Mitgliedschaft in der Europäischen Union, war erfolgreich und erhielt 98,74% Zustimmung von den Bürger:innen. Am 21. Januar 2023, dagegen, lag die Beteiligung mit 27,25 % deutlich unter der 50 %-Marke, weswegen dieses Referendum nicht erfolgreich war. Da die politischen Auseinandersetzungen heute stärker sind denn je, scheint das Land in einer Geschichte gescheiterter Volksabstimmungen festzustecken.

Während das Instrument der direkten Demokratie darauf abzielt, Bürger:innen in politische Angelegenheiten mit einzubeziehen und ihr Bewusstsein zu schärfen, scheint dieses Instrument in der Slowakei nun zur Verschärfung von Konflikten eingesetzt zu werden – obwohl es ursprünglich für deren Lösung gedacht war. Am Beispiel der Slowakei kann man sehen, wie sich dieses Instrument der Bürger:innen innerhalb weniger Jahrzehnte zu einem der politischen Parteien entwickelt hat. Obwohl es möglich ist, 350000 Unterschriften von Bürger:innen zu sammeln, bleibt die Wahlbeteiligung am Ende immer gering. Volksabstimmungen sind zwar ein wichtiger Bestandteil des politischen Lebens in der Slowakei, jedoch werden sie oft zur Beilegung politischer Meinungsverschiedenheiten eingesetzt.

Miroslav Nemčok und Peter Spáč von der Masaryk-Universität haben in der jüngeren Geschichte des slowakischen Referendums zwei Hauptbeweggründe für Referenden ausgemacht: “Entweder wollen Parteien mithilfe der Idee des Referendums ihre Anhänger:innen mobilisieren und ihren Wähleranteil steigern, oder sie wollen ihren politischen Gegnern damit schaden”. 

Das Instrument des Referendums ist, wie die polnische Politologin Elżbieta Kużelewska sagte, zu einer "Karikatur der direkten Demokratie" geworden. Es sei zu einem Indiz für die Meinung der Öffentlichkeit geworden, zu einer Art Treibstoff für parlamentarische Debatten, zu einem politischen Gewinn der einzelnen Parteien. Das Instrument des Referendums habe sich davon abgewandelt, politische Partizipation zu befürworten – und unterstütze nun nicht mehr die Zunahme der politischen Beteiligung der Bürger:innen.

Letztendlich zeigt der Fall der Slowakei, dass das Bedürfnis nach direkter Demokratie stärker ist denn je. In einer Zeit politischer Auseinandersetzungen, die Fachleute um die Demokratie in der Slowakei fürchten lassen - vor allem da vorgezogene Wahlen in dem Land stets autokratische Parteien an die Macht gebracht haben -, kann die direkte Demokratie, wenn sie von den Bürger:innen genutzt wird, als Lösung angesehen werden. Das gibt Menschen zu denken, vor allem in Anbetracht dessen, dass es keine Gesetzesinitiativen gibt, die von den Bürger:innen selbst kommen. Die Instrumente der direkten Demokratie haben ihre Effizienz, wenn sie richtig eingesetzt werden, bereits bewiesen. Die Schweiz ist ein gutes Beispiel dafür. Dementsprechend können wir uns nur für mehr direkte Demokratie einsetzen – und für mehr Autonomie der Bürger:innen bei der Nutzung der Instrumente, die für sie geschaffen wurden.

 

Further readings on the topic: 
-    Miroslav Nemčok, Peter Spáč, Referendum as a Party Tool: the Case of Slovakia,, Masaryk University, 2019 https://tuhat.helsinki.fi/ws/files/130554424/OA_nemcok_spac_referendum_a...

-    Kopeček, L., & Belko, M. (2003). Referendum in theory and practice: the history of the Slovak referendums and their consequences. Central European Political Studies Review, 5(2-3).
https://www.ssoar.info/ssoar/bitstream/handle/document/5864/ssoar-cepsr-...

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