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Die Europäische Bürger:inneninitiative hat die Gelegenheit, einen Schritt nach vorne zu machen

04-04-2024

Der Grundstein einer gut funktionierenden Demokratie liegt in der umfassenden und standhaften Teilnahme ihrer Bürger:innen. Im Laufe der Jahre hat Europa verschiedene demokratische Instrumente zur Erleichterung der Bürger:innenbeteiligung eingeführt, wie z.B. die neuen Europäischen Bürger:innenpanels, öffentliche Konsultationen sowie das ehrgeizige demokratische Projekt der Konferenz über die Zukunft Europas. 

Von Daniela Vancic und Felicia Frempong.

Das jedoch einzig wirkliche Bottom-up-Instrument der Bürger:innenbeteiligung, welches Bürger:innen ermöglicht, sich zu mobilisieren und zu organisieren, ist die Europäische Bürger:inneninitiative (EBI). Die EBI wurde von den Gründer:innen von Democracy International in den frühen 2000-er Jahren auf dem letzten Europäischen Konvent erdacht, und gibt EU-Bürger:innen die Möglichkeit, EU Rechtsvorschriften durch das Sammeln von einer Million Unterschriften in mindestens sieben Mitgliedstaaten, vorzuschlagen. Bis heute ist sie das erste und einzige transnationale partizipative demokratische Instrument der Welt.

Die EBI ist auch in anderer Hinsicht einzigartig. Sie verfügt wohl über die stärkste Unterstützungsinfrastruktur für Organisator:innen und Nutzer:innen im Vergleich zu ähnlichen Instrumenten in Europa. Eine im letzten Jahr von Democracy International im Auftrag des EBI-Forums durchgeführte Konsultation bestätigt, dass kein in Europa vergleichbares Bürger:inneninitiativ- oder Petitionsinstrument auch nur die Hälfte der Ressourcen bietet, die die EBI in ihrer Unterstützungsinfrastruktur bereitstellt. Dazu gehören das zentrale Online-Sammelsystem, das die Sammlung von Online-Unterschriften erleichtert, und das EBI-Forum, welches als umfassendes Unterstützungszentrum für Organisator:innen Webinare, Lernmaterialien, Erfolgsgeschichten, Leitfäden, sowie die Möglichkeit bietet, Expert:innen um eine individualisierte Beratung zu Kampagnen oder rechtlichen Fragen zu bitten. 

Wie immer bei solchen Instrumenten stellt sich die Frage: welche Auswirkungen haben sie? Wo wurde ein politischer Unterschied gemacht? Ein bemerkenswerter Erfolg ist die EBI "Recht auf Wasser", die zur EU-Trinkwasserrichtlinie der Europäischen Kommission geführt hat, die im Januar 2021 in Kraft getreten ist. Zudem gab es die im Jahr 2019 erfolgreiche EBI "End the Cage Age", die eine humane Reform der landwirtschaftlichen Praktiken forderte. Darauf reagierte die Europäische Kommission positiv und versprach, fast alle Forderungen der Organisator:innen aufzugreifen und diesbezüglich bis 2023 einen Gesetzesvorschlag vorzulegen. Das war ein großes Fest für der EU-Demokratie! Laut der Organisatorin von "End the Cage Age", Olga Kikou, hat dies wahrscheinlich dazu geführt, dass seitdem immer mehr EBIs registriert werden und Erfolg haben. 

Bedauerlicherweise hat die Kommission jedoch ihren Legislativvorschlag zur EBI "End the Cage Age" nicht in dem von ihr versprochenen Zeitrahmen vorgelegt, und es gibt Anzeichen dafür, dass sie ihre schriftliche Verpflichtung gegenüber den Bürger:innen auf unbestimmte Zeit verschiebt oder gar zurücknehmen will. 

Genau das war das Thema des diesjährigen EBI-Tages, der vom Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, bei dem Democracy International einer der ständigen Partner ist, organisiert wurde. Während der EBI-Tag ein jährlicher Anlass ist, der der Feier der EBI gewidmet sein soll, wurde in diesem Jahr der EBI-Tag – und insbesondere das hochrangige Eröffnungspanel ¬– dazu genutzt, einen ernüchternden Blick darauf zu werfen, wie einflussreich die EBI bei der Entscheidungsfindung ist und wie sie zu einem politisch wirkungsvolleren Instrument werden kann. 

Die EBI ist zwar in den letzten 12 Jahren ihres Bestehens ein wesentlich benutzerfreundlicheres Instrument geworden, doch ihre politische Umsetzung stellt eine große Herausforderung dar. Der Mangel an politischer Unterstützung oder die fehlende Klarheit darüber, wie die Kommission ihren eigenen, nun verzögerten Verpflichtungen in Bezug auf die EBI nachkommen wird, untergräbt nicht nur die Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit der EBI, sondern führt auch zu einem Kreislauf der Desillusionierung und des Desinteresses für Bürger:innen. Ohne echte politische Rechenschaftspflicht besteht die Gefahr, dass die EBI eher zu einer symbolischen Geste als zu einem sinnvollen Mechanismus für die Befähigung der Bürger:innen und politische Einflussnahme wird. Diese Ansicht wurde von den meisten Diskussionsteilnehmer:innen des hochrangigen Panels am EBI-Tag geteilt – darunter die Europäische Bürger:innenbeauftragte Emily O'Reilly, die Abgeordnete des Europäischen Parlaments Tilly Metz, Carsten Berg von der EBI-Kampagne und Olga Kikou von "End the Cage Age". 

Als Reaktion auf die berechtigten Bedenken räumt Pascal Leardini von der Europäischen Kommission ein, dass es sehr komplex ist, erfolgreiche EBI anzugehen – insbesondere solche, die sich auf sensible und kontroverse Themen konzentrieren und mit breiteren Ökosystemen und Wertschöpfungsketten verflochten sind. EBI wie "End the Cage Age" überschneiden sich mit landwirtschaftlichen Praktiken und erfordern gründliche Folgenabschätzungen, um die damit verbundenen Kosten und Übergangszeiten einschätzen zu können. 

In diesem Zusammenhang stellen wir die Frage: Wozu dienen die sechs Monate, die der Kommission für die Entscheidung über eine erfolgreiche EBI zugestanden werden, wenn nicht zur Überprüfung und Durchführung einer Folgenabschätzung? In letzter Zeit beobachten wir bei erfolgreichen EBI den Trend, dass die Kommission ihre Antwort aufschiebt und stattdessen weitere Folgenabschätzungen fordert und ihre eigentliche Antwort auf das von der EBI besprochene Thema auf unbestimmte Zeit hinauszögert. 

Das politische Problem der EBI liegt nicht allein bei der Europäischen Kommission: das Europäische Parlament hat den Vorschlag der Kommission für den nachhaltigen Einsatz von Pestiziden, wie er von der erfolgreichen EBI "Rettet die Bienen" gefordert wurde, abgelehnt. Dies unterstreicht, dass alle Institutionen eine Rolle in der politischen Nachbereitung einer EBI spielen müssen, um sicherstellen zu können, dass die EBI ein politisch wirksames Instrument ist. Eine Möglichkeit, um die proaktive Rolle des Europäischen Parlaments bei erfolgreichen EBI zu stärken, wäre die Verfahrensordnung so zu ändern, dass nach der öffentlichen Anhörung einer EBI eine Resolution veröffentlicht werden müsste. Darüber hinaus könnte das Parlament eine gründliche Bewertung der Reaktionen von der Kommission auf die erfolgreiche EBI vornehmen, um die interinstitutionelle Kontrolle zu verstärken und die Angemessenheit der Maßnahmen der Kommission zu bewerten.

Es ist jedoch verständlich, dass die EBI heute ein Instrument ist, welches die Tagesordnung bestimmt, wie es Leardini selbst betonte, und welches wichtige Gespräche darüber auslöst, wie begrenzt oder mächtig die EBI und generell die Bürger:innen bei der Entscheidungsfindung der EU sein sollten. Sowohl das Europäische Parlament, als auch die Konferenz über die Zukunft Europas schlagen die Einberufung eines EU-Konvents vor, der während der Legislaturperiode des Europäischen Parlaments von 2024 bis 2029 stattfinden soll und auf die Änderung der EU-Verträge abzielen soll. Dies würde dem Europäischen Parlament die Möglichkeit geben, ein legislatives Initiativrecht und damit die Befugnis zu erhalten, sich direkt mit den EBI zu befassen. Außerdem könnte die Reform der EU-Verträge die EBI in ein wahrliches Bürger:inneninitiativrecht mit mehr politischem Rückgrat verwandeln.

Wenn wir darüber nachdenken, wie die Zukunft der EBI aussehen wird, ist klar, dass der Erfolg der EBI sowohl von technischen Verbesserungen als auch vom politischen Willen der EU-Institutionen abhängt. Was Ersteres betrifft, so ist die EBI sehr weit in ihrem Bemühen fortgeschritten, ein benutzer:innenfreundlicheres und für die Organisator:innen unterstützendes Instrument zu werden. Was die politische Wirkung betrifft, so hat die EBI die Möglichkeit, einen Schritt nach vorne zu machen und stärkere politische Erfolge zu erzielen. Dafür brauchen wir aber die Hilfe der EU-Institutionen. 

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