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Die Berliner:innen haben entschieden - doch entschieden ist letztlich nichts

19-04-2023

Es ist ein regnerischer Augusttag 2022, ich stehe auf dem Tempelhofer Feld in Berlin, ein Wahrzeichen der Stadt und der direkten Demokratie (durch Volksentscheid wurde 2014 entschieden, dass das Feld nicht bebaut werden soll) und sammle Unterschriften für ein Volksbegehren. Privat. Diesmal geht es darum, dass Berlin bis 2030 klimaneutral werden soll. 

Alle Aktivist:innen sind Feuer und Flamme für das Thema. Doch die Stimmung ist gedrückt, nicht nur wegen des Regens. “Ich bin mir nicht sicher, ob wir das schaffen", erzählt mir ein Aktivist, als wir Pause machen. Ich verstehe es. Die Unterschriftenhürde für die zweite Stufe zum Volksentscheid in Berlin ist hoch: Sieben Prozent der Wahlberechtigten müssen zustimmen. Drei Monate später ist das Unglaubliche Realität: Jubel! Am 14.11.2022 waren 261.968 Unterschriften eingereicht und es war klar: der Klima-Volksentscheid für Berlin kommt. 

Er kam und er scheiterte. Die Berliner:innen haben vor einigen Wochen, am 26.3. entschieden, doch entschieden ist letztlich nichts. Im Volksentscheid stimmten 51% für die Klimaneutralität der Hauptstadt bis 2030, 49% dagegen. Ein knappes, aber ein Ergebnis für den Vorschlag der Initiative, der das Berliner Klimaschutz- und Energiewendegesetz umgeschrieben hätte. Und doch gilt der Entscheid als gescheitert. 

Denn Berlin hat ein Zustimmungsquorum von 25 Prozent. Anders als bei Wahlen ist die Mehrheitsentscheidung bei Volksentscheiden  nur gültig, wenn mindestens 25 Prozent aller Stimmberechtigten mit Ja stimmen. Je Weniger sich beteiligen, desto geringer ist die Chance, diese Hürde zu nehmen. Für einen erfolgreichen Volksentscheid hätten mindestens 608.000 Menschen mit Ja stimmen müssen - 442.028 Stimmen erreichte die Initiative. 

Berlin hatte tatsächlich die Chance, den Entscheid mit einer Wahl (der Wiederholungswahl für das Land im Februar) zusammenzulegen - und hat sie vertan. Die Stadt hat es sich nicht zugetraut. Nachdem die Wahl 2021 an der Organisation scheiterte und nun wiederholt werden musste, wollte man dieses Mal alles richtig machen - und ein Stimmzettel mehr wurde da zum Risiko. So lautete die offizielle Begründung. 

Damit stand die Abstimmung von vornherein unter einem schlechten Stern: Wenn ein Entscheid mit einer Wahl zusammengelegt wird, ist die Zustimmungshürde nicht mehr so relevant, da durch die Wahl sowieso viele Menschen zur Urne schreiten. Wir wissen aus vielen Beispielen: Die Zustimmungshürde führt bei Volksentscheiden, die nicht mit einer Wahl zusammenfallen, zum Gegenteil von dem, was sie erreichen will, nämlich nicht zu mehr, sondern zu weniger Beteiligung. Es geht auch anders: In anderen deutschen Bundesländern, wie Bayern und Sachsen gibt es solche Zustimmungsklauseln nicht. 

In fünf Bundesländern in Deutschland wäre der Volksentscheid übrigens erfolgreich gewesen. In Sachsen und Bayern (kein Quorum), Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen (15 Prozent Zustimmungsquorum), Rheinland Pfalz (25 Prozent  Beteiligungsquorum).In drei weiteren wäre er noch knapper gescheitert (20 Prozent Zustimmungsquorum Hamburg, Bremen und Baden-Württemberg). 

Insgesamt haben mehr Berliner:innen für den Volksentscheid gestimmt, als jeweils für sämtliche politische Parteien in Berlin.Auch die Beteiligung war für einen Volksentscheid ohne Wahl sehr gut. Nur an dem ersten Volksentscheid über den Weiterbetrieb des Flughafens Tempelhof beteiligten sich mit 36,1 % mehr Menschen. Der Klimaentscheid hat mit mit 35,8 % eine überdurchschnittliche Beteiligung. Und doch überschlagen sich nun politische Entscheider:innen, Medien und Meinungsmacher:innen mit Einordnungen: die Nicht-Abstimmenden seien überwiegend gegen den Gesetzesvorschlag gewesen und deshalb zu Hause geblieben. Das Vorhaben wäre zu ambitioniert gewesen. Die Initiative hätte keinen Volksentscheid zu einem abstrakten Ziel, sondern zu konkreten Maßnahmen machen sollen.

Es gab beim Volksentscheid anders als bei Wahlen keine Nachwahlbefragung, deshalb wissen wir schlichtweg nicht, warum Menschen nicht zur Abstimmung gegangen sind, warum sie mit Ja oder Nein gestimmt haben. Wir von Mehr Demokratie holen das jetzt nach: Wir geben eine repräsentative Umfrage in Auftrag, um die Nicht-Abstimmenden, Ja- und Nein-Sager:innen nach ihren Gründen zu fragen. Die Ergebnisse werden in den nächsten Wochen veröffentlicht. 

Der Volksentscheid zeigt so nur Eines deutlich: Das Zustimmungsquorum sorgt für ein unklares Ergebnis nach einem Volksentscheid und sollte abgeschafft werden. Wahlen- und Abstimmungsregeln haben die Aufgabe, möglichst eindeutige Ergebnisse zu produzieren. Jetzt befinden wir uns in der vermeidbaren Situation, dass alle Beteiligten das Ergebnis zu ihren Gunsten auslegen. Ohne das Zustimmungsquorum wäre dies nicht passiert. 

Erfolg lässt sich auch nicht nur in Zahlen messen: Nie wurde in Berlin jemals so intensiv über den Klimaschutz diskutiert wie vor dem Volksentscheid – auf der Straße, bei Veranstaltungen, zu Hause, an der Arbeit, in den Medien… Die Pariser Klimaziele sind bindend. Aber wie diese umsetzen? Heute gibt es mehr Berliner:innen, die verstanden haben, wie dringlich der Klimaschutz ist, und die bereit sind, mit zu überlegen, wie ein wirklich wirksamer Klimaschutz aussehen muss. Umso mehr ist die Politik gut beraten, auf die Fakten zu schauen: Auch wenn der Volksentscheid nun am Quorum gescheitert ist, sollte die Stadt das deutliche Signal für mehr Klimaschutz ernst nehmen. 

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