DI: Erzählen Sie uns über den Hintergrund der Initiative. Was waren die Motivationsfaktoren dahinter?
NDB: Der Standort des vorgeschlagenen Projekts ist in Savamala, einem Teil von Belgrad, der zentral hinter den Bahn- und Busbahnhöfen liegt und einer der ungenutzten Stadtteile mit dem vielversprechendsten Entwicklungspotenzial ist.
Im Jahr 2012 unternahm unser heutiger Präsident Aleksandar Vucic, damals Kandidat für das Amt des Bürgermeisters von Belgrad, mit dem ehemaligen Bürgermeister von New York City, Rudy Giuliani, eine Kreuzfahrt auf dem Sava-Fluss und präsentierte zum ersten Mal Ideen für das Waterfront Projekt. Es wurden jedoch keine weiteren Informationen über das Projekt veröffentlicht. Das war einer der ersten Hinweise darauf, dass etwas Großes in unserer Stadt geschehen würde.
Im Jahr 2014 gelang es Vucic auf föderaler Ebene als Ministerpräsident Serbiens an die Macht zu kommen. Die Regierung nutzte die Gelegenheit aus, dass Belgrad damals temporäre städtische Behörden hatte und erklärte, dass sie mit der Entwicklung des Waterfront-Projekts beginnen würde. Es begann mit Änderungen des allgemeinen Stadtentwicklungsplans von Belgrad ohne Konsultationen der Öffentlichkeit. Es wurde als Projekt von nationaler Bedeutung eingestuft, um bürokratische Hürden zu umgehen. Es gab kein einheitliches Ausschreibungsverfahren für das Projekt und auch keinen obligatorischen Wettbewerb um den architektonischen Entwurf. Das war der Startschuss für uns, die Bürger zu organisieren und in den Kampf gegen diesen undurchsichtigen Prozess einzubeziehen. Wir begannen mit den grundlegenden Schritten: Einreichung einer offiziellen Beschwerde über Änderungen der Stadtentwicklungspläne, Ausübung von Druck auf institutioneller Ebene, Beantragung öffentlicher Anhörungen. Wir luden die Bürger von Belgrad ein gemeinsam Beschwerden gegen den Plan zu formulieren. Wir haben mehr als 2.000 Beschwerden eingereicht, aber alle wurden abgelehnt.
Dann, als sich herausstellte, dass die serbische Regierung gegen ihre eigenen Gesetze und Bauvorschriften verstößt, bestand ihre Hauptstrategie darin, die Gesetze und Verfahren umfassend zu ändern, um den Wünschen des Projekts gerecht zu werden. Das war ein weiteres Zeichen für uns, dass dieses Projekt bereits hinter verschlossenen Türen durchgeführt wurde. Zu diesem Zeitpunkt gab es noch keine konkrete Finanzanalyse im Zusammenhang mit dem Waterfront Projekt. Wir bekamen nur vage Versprechungen von Großinvestoren, zum Beispiel einer Person aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, die 2-3,5 Milliarden Euro investieren würde.
Wir organisierten dann kleine Auftritte, wie z.B. Singen bei der öffentlichen Anhörung des Plans. Im Jahr 2015 führte die Regierung ein Sondergesetz zur Grundstücksenteignung in diesem Gebiet ein. Folglich organisierten wir den ersten Protest mit der großen gelben Ente. Allmählich wurde unsere Bewegung auch zu einem Vorbild für andere, weil dieses Projekt zeigte, wie Städte nicht entwickelt werden sollten: ohne Konsultation der Öffentlichkeit oder Berechnung von Sozialleistungen. Es ist ein Beispiel dafür, wie lokale Gemeinschaften den Einfluss auf ihre Nachbarschaft an Institutionen verlieren, die finanzielle Macht über sie haben. Die Vorbereitungen vor Ort waren bis 2015 abgeschlossen. Die Stadt begann, die Eisenbahnschienen zu entfernen und vertrieb etwa 200 Familien, die dort lebten. Und das alles ohne Vertrag!
Im Jahr 2015 wurde ein Vertrag unterzeichnet. Er wurde jedoch erst 6 Monate später und am Tag der Belgrader Gay Pride enthüllt. Leider kommt es im Pride Event normalerweise immer zu einer Situation in der Hooligans versuchen die Parade zu stoppen. Es würde also eine perfekte Ablenkung sein. Unsere Analyse des Vertrags ergab, dass die Regierung 100 Hektar Land kostenlos zur Verfügung stellte, dass ein unbekannter Investor etwa 150 Millionen Euro aufbrachte und dass der Großteil der Gesamtinvestition von einem neu gegründeten Unternehmen in Abu Dhabi kam. Der Vertrag enthüllte auch, dass die Regierung verpflichtet war, keine Gesetze und Verfahren zu ändern, die dem Projekt schaden würden. Im Wesentlichen würde sie die Verwaltung dieses Grundstückes einer neu gegründeten ausländischen Gesellschaft übertragen.
DI: Wie hat NDB reagiert und wie hat die Regierung auf Ihre Reaktionen reagiert?
NDB: Wir haben die Initiative zu einer Kerngruppe von ca. 20-30 Personen ausgebaut, aber unser erweiterter Kreis umfasste Freiwillige von ca. 200-300 Personen. Wir protestierten am Tag der Vertragsunterzeichnung. Wir protestierten, als der erste Spatenstich stattfand. Diese Proteste haben gezeigt, dass die Regierung die Polizei großflächig einsetzt, um jeglichen Widerstand gegen das Projekt zu verhindern. Zu unseren größten Protesten kamen etwa 20.000 Menschen. Am Tag der Vertragsunterzeichnung stoppten sie zwei voll funktionsfähige Züge, um dem Bürgermeister, den Ministern und anderen Beamten, die den Vertrag unterzeichneten, die Sicht auf die auf der anderen Straßenseite Protestierenden zu versperren. In späteren Phasen war es sehr offensichtlich, dass sie jeglichen sichtbaren Widerstand gegen das Projekt verhindern wollten.
Ein Wendepunkt, der eine echte Revolte auslöste, war die Nacht der Parlamentswahlen am 24. April 2016. Während alle die Wahlergebnisse verfolgten, begann eine Gruppe von etwa 30 maskierten Männern einen Block des vorgeschlagenen Projekts im Stadtteil Savamala abzureißen.
Die Bewohner begannen die Polizei zu rufen, um den Mitternachtsabriss zu melden, aber die Polizei reagierte nicht im Geringsten. Dies löste mehr als 10 massive Proteste in Belgrad aus, die den Rücktritt von Stadtbeamten und Polizeichef forderten. Die Menschen wollten politische Verantwortung sehen, sie wollten die Verfolgung der Menschen, die an dem nächtlichen Abriss beteiligt waren und sie wollten die transparente Aufklärung dessen, was in dieser Nacht geschehen war.
Der Abriss Savamalas ist nach wie vor eines der Themen im öffentlichen Raum, das wir regelmäßig ansprechen. Nachdem wir festgestellt hatten, dass unsere Aktionen mittels institutionellem Kampf mit Beschwerden und Gerichtsverfahren nicht funktionieren und, dass unsere Taktik der Massenproteste zu keinen Ergebnissen führt, haben wir uns entschlossen, für das Stadtparlament von Belgrad zu kandidieren. Wir haben uns als unabhängige Bürgerliste für die Wahlen im März 2018 organisiert. Wir erhielten 3,5% der Stimmen (30.000 Personen), leider blieben wir unter der 5%-Schwelle, aber wir halten es immer noch für einen Erfolg angesichts der begrenzten Medienberichterstattung über unsere Initiative.
DI: Warum glauben Sie, waren die Leute in Belgrad so bereit, sich der Bewegung anzuschließen? Warum war es so einfach das Interesse der Menschen zu wecken?
NDB: Die Leute haben sich uns angeschlossen, weil das in Belgrad nichts Neues ist. Wir erleben eine Krise der traditionellen politischen Parteien und der Repräsentierung der Menschen durch sie. Wir haben in Belgrad auch einen neuen Ansatz für eine Bottom-up-Demokratie entwickelt, in der die Bürger ihre Stimme hören lassen können. Er hat im Grunde genommen die neuen Themen hervorgebracht, die jetzt in Belgrad diskutiert werden. Wir hören zu, was die Leute uns sagen und wir entwickeln verschiedene Methoden, wie wir lokale Gruppen in den Gemeinden organisieren. Von dort aus crowdsourcen wir die verschiedenen Ideen und arbeiten dann an konkreten Themen. Wir haben gezeigt, wie ein verbessertes Modell funktionierender lokaler Gemeinschaften aussehen kann. Der Entscheidungsprozess sollte von der untersten Ebene bis zur Gemeinde und zur Stadt gehen und nicht umgekehrt.
Wie Politik funktioniert ist im gesamten Balkan problematisch. Aber, wenn die Regierung sich einfach nicht mit den Bürgern berät, dann haben wir das eben gemacht und das war wichtig für das Volk.
DI: Das Waterfront Projekt ist jetzt voll im Gange, trotz des großen öffentlichen Widerstandes. Was ist der nächste Plan für NDB?
NDB: Vor 2012 war die Kerngruppe der Organisatoren an verschiedenen kleineren Initiativen zu Belgrads unabhängiger Kulturszene, öffentlichen Vereinen sowie dem Schutz von Grünflächen in der Stadt beteiligt. Wir begannen mit der Bildung einer Koalition mit Gleichgesinnten und Initiativen, die sich für nachhaltigere urbane Mobilität, mehr öffentliche Räume für Begegnungen und Zusammenkünfte und mehr kulturelle Zentren einsetzen. Wir verbanden uns auch mit verschiedenen Initiativen und Gruppen, die im Bereich des Wohnens arbeiteten, beispielsweise im Kampf gegen die Vertreibung von Menschen aus ihren Häusern aufgrund von Wohnungsverschuldung.
Wir erweitern nun das Spektrum der von uns abgedeckten Themen. Wir haben mit dem Projekt Waterfront begonnen, aber nach und nach wurde es zu einem Thema der Transparenz und Einbeziehung der Bürger in die Stadtentwicklung. Waterfront war nur ein Fall, um den Menschen zu zeigen, wie unsere Stadt in Zukunft entwickelt werden könnte. Wir erforschen Themen zu verschiedenen Modellen wie eine Stadt funktionieren und wachsen sollte.
Wir treten in eine Phase der zukünftigen Entwicklung unserer internen Struktur ein, um zu sehen, wie wir unsere Themen, aber auch unsere Territorialität erweitern können. Wir befinden uns jetzt in einer Situation in Belgrad, in der wir im nächsten Jahr eine Fortsetzung der Privatisierung von praktisch allem, von kommunalen Versorgungsunternehmen bis hin zu städtischen Dienstleistungen, vorhersehen. In diesem Sinne wird es viele zu behandelnde Themen geben, aber für mich ist es sehr wichtig zu betonen, dass dies auch ein Prozess der Bildung und Emanzipation der Menschen innerhalb der kommenden Jahre ist.
Wir reden nicht nur über das nächste Jahr, sondern wir kämpfen für die nächsten 10 oder 15 Jahre, um eine neue Gruppe von Bürgern aufzubauen, die aktiv wird und Mitglieder ihrer Gemeinden hinterfragt. Was mich jetzt interessiert, ist, einen Plan vorzulegen, der sich vielleicht nicht so sehr an der aktuellen Situation oder gar den nächsten Jahren orientiert. Stattdessen wollen wir eine Vision präsentieren, wie die Situation der Bürgerintegration in Zukunft aussehen kann. Ich möchte, dass wir visionärer werden, anstatt nur auf das, was gerade passiert, zu reagieren.