Rechtlicher Hintergrund
Dieses Referendum wird in der Topologie des Direct Democracy Navigators als "obligatorisches Referendum" definiert, da die Kreation eines Beratungsausschusses ein Mitspracherecht der Aborigines in der australischen Verfassung verankert hätte. Da es sich bei der Reform also um eine Verfassungsänderung handelt, musste das australische Volk durch ein Referendum seine Zustimmung hierzu ausdrücken. In Australien bedeutet ein solches Referendum, dass alle wahlberechtigten Bürger:innen ab 18 Jahren gesetzlich zum Abstimmen verpflichtet sind. Bürger:innen, die dieser Verpflichtung nicht nachkommen, müssen mit Sanktionen wie Geldstrafen rechnen. Die Wahlbeteiligung ist im Allgemeinen sehr hoch.
Bei Volksabstimmungen sind in Australien zwei wichtige Punkte zu beachten. Zum Ersten ist eine doppelte Mehrheit erforderlich, damit der Vorschlag eines Referendums verwirklicht werden kann: Es muss also sowohl die Mehrheit der australischen Wähler:innen, als auch die Mehrheit der australischen Bundesstaaten (d.h. vier von sechs Bundesstaaten) die vorgeschlagenen Änderungen unterstützen. Zum Zweiten haben die Wähler:innen nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie stimmen dem Vorschlag zu und kreuzen „Ja“ an, oder sie lehnen den Vorschlag mit einem „Nein“ ab.
Die bei diesem Referendum gestellte Frage lautete, ob die australischen Wähler:innen einer "Änderung der Verfassung zur Anerkennung der indigenen Völker Australiens durch die Einführung eines Mitspracherechts der Aborigines und Torres-Strait-Insulaner" zustimmen würden. Wäre diese Änderung erfolgt, hätte sie dafür gesorgt, dass die ‚Aborigines und Torres Strait Islander‘ im Hinblick auf die Verfassung besser vertreten worden wären. Weiterhin hätte dadurch Ureinwohner:innen bessere Anerkennung verschafft werden sollen, da ein beratendes Organ bei verschiedenen Regierungsentscheidungen die indigene Perspektive hätte bieten können.
Warum ist der geschichtliche Hintergrund dieses Themas so wichtig?
Um zu verstehen, warum dieses Referendum für die indigene Bevölkerung Australiens so entscheidend ist, muss man sich erst einmal vergegenwärtigen, was die "Uluru-Erklärung aus dem Herzen" ist. "Es ist eine wunderschöne und sehr gütige Erklärung, die von einer alten Kultur an eine sehr junge geschrieben wurde und die aus der Sicht der alten Kultur beschreibt, wie diese gequält und als Bürger:innen zweiter Klasse behandelt wurden ... es ist eine Erklärung der indigenen Bevölkerung an die ganze Nation", sagt Dion McCurdy.
Die Erklärung wurde am Uluru-Berg abgegeben, nachdem tagelange Diskussionen schließlich zu einem Konsens der 250 indigenen Delegierten geführt haben. Sie verkörpert die Vorstellung, dass indigene Völker in der Verfassung anerkannt werden sollten, und repräsentiert die Tatsache, dass diese Völker schon vor der Besiedlung des Landes durch Weiße da waren und sich "in vielerlei Hinsicht noch nicht davon erholt, Kolonialisiert worden zu sein", wie es Ron Levy formuliert. Obwohl diese Erklärung zwar erst 2017 abgegeben wurde, war sie Teil "einer langen Kampagne, die 1967 begann, als die indigene Bevölkerung zum ersten Mal in der Volkszählung erfasst wurde", und die sich durch Meilensteine in den Jahren 1990 und 2007 weiterentwickelte, wie es Dion McCurdy erläuterte.
Ron Levy betonte, dass Premierminister Albanese nach seinem Wahlsieg im Mai 2022 erstmals der Einladung der indigenen Anführer:innen gefolgt sei, der "Uluru-Erklärung aus dem Herzen" nachzukommen. Diese Anführer:innen hatten sich bereits seit Jahren für Reformen eingesetzt. Die Verankerung eines „Mitspracherechts der Ureinwohner:innen" in der australischen Verfassung sollte es erleichtern, die Auswirkungen von Gesetzen und Politik der australischen Regierung auf indigene Völker anzuerkennen. Ein solcher Schritt wäre auch für den Abschluss eines Vertrags mit den Aborigines von entscheidender Bedeutung, da Australien eines der wenigen Länder des Commonwealths ist, welches keinen Vertrag mit seinen Ureinwohner:innen abgeschlossen hat.
Theoretisch wäre es auch ohne eine Verfassungsänderung möglich gewesen, im Sinne eines Mitspracherechts zu entscheiden. Wie Dion McCurdy betonte: "Es ist nicht unrechtmäßig. Nur weil das Volk gegen die Aufnahme dieses Mitspracherechts in die Verfassung gestimmt hat, heißt das nicht, dass diese nicht trotzdem per Gesetz eingeführt werden kann. Herr Albanese hätte das Recht, dem Parlament einen solchen Gesetzesentwurf vorzulegen. Aber das zu tun, nachdem das Volk explizit dagegen gestimmt hat würde einfach schlecht aussehen…”. Da das Abstimmungsergebnis ein überwältigendes "Nein" war, ist es also verständlich, dass wir eine unveränderte Verfassung haben und Herr Albanese diese Option abgelehnt hat.
Warum die "Ja"-Kampagne scheiterte
Es herrscht Einigkeit darüber, dass das Referendum schlecht durchgeführt wurde, da es kaum Versuche gab, die während der Kampagne aufgetreten Probleme zu lösen.
Der erste und wahrscheinlich wichtigste Faktor, der zum Scheitern des Referendums führte, war eine mangelnde parteiübergreifende Unterstützung. Wie Dion McCurdy erklärte: "Bislang gab es 44 Versuche, die Verfassung zu ändern, und davon waren nur acht erfolgreich. Von diesen acht erfolgreichen Versuchen wurde jeder einzelne von beiden Fraktionen unterstützt". Während es anfangs noch Gespräche gab, stellte Ron Levy fest, "dass klar wurde, dass es sich hierbei um eine Konservative-versus-Progressive Frage handeln würde, sobald die Opposition begann, sich der Reform zu widersetzen. Klar war auch, dass Parteilichkeit für ein Referendum immer tödlich endet". Die Tatsache, dass die Debatte größtenteils von parteiischen Politiker:innen geführt wurde, führte letztendlich zu mehr Verwirrung bei den Wähler:innen, da diese nicht wussten, welcher Seite sie vertrauen konnten, und zudem bereits mit einer allgemein schlechten Informationskampagne zu kämpfen hatten.
Dies bringt uns zum zweiten Faktor, den Ron Levy perfekt illustriert: "Neben den Kampf gegen die Desinformation gab es auch einen generellen Mangel an Informationen. Damit meine ich nicht, dass die Informationen nicht verfügbar waren, sondern, dass viele Wähler:innen auf einer tiefgründigeren Ebene einfach nicht genug wussten". Dion McCurdy fügt hinzu: "Die Ja-Seite hat wahrscheinlich das allgemeine Verständnis von dem, was vor sich ging, überschätzt, und die Regierung hat den Menschen die Details nicht anvertraut. Die Tatsache, dass nur drei Prozent der Australier:innen Ureinwohner:innen sind, und dass die Verfassungsfragen, die diese betreffen, in der restlichen Bevölkerung kaum bekannt sind, zeugt von dieser Realität, wie Ron Levy betont. Hinzu kommt, dass obligatorische Abstimmungen zwar für eine gleichberechtigte Einbeziehung aller Bürger:innen sorgen, aber gleichzeitig auch den Anteil der Ja-Stimmen verringen. Das liegt daran, dass Menschen, die sich weniger für das Thema interessieren, eher dazu neigen, die simplere Option des Status Quo zu wählen – insbesondere dann, wenn die Informationslage relativ beschränkt ist, wie es bei diesem Referendum der Fall war. Dieser Aspekt hilft dabei zu erklären, warum allgemein die Erfolgsaussichten von Referenden in Australien so gering sind. Der Kampf der Narrative, der von den Politiker:innen des Landes geführt wird und bei dem soziale Medien die Hauptinformationsquelle darstellen, hat dieses Problem verschärft.
Man kann also abschließend sagen, dass die beiden zuvor genannten Faktoren eine Fehleinschätzung der Regierung im Hinblick auf das allgemeine Verständnis der australischen Bevölkerung für indigene Anliegen aufweisen. Es wird dadurch deutlich, dass eine stärke Miteinbeziehung der Bürger:innen dem Referendum geholfen hätte. In den Worten von Dion McCurdy: "Wir wussten, dass eine elitäre top-down Kommunikation nicht funktionieren würde ... Wenn sie (die Regierung von Albanese) für diese Ideen die Unterstützung der Bevölkerung haben will, hätte sie die Reform besser thematisieren und sie zu einem Teil ihrer Kampagne machen müssen. Stattdessen hat diese gedacht, sie könnte diese Reform durchsetzen, ohne alle großen Parteien an Bord zu haben".
Gelernte Lektionen
Obwohl durchaus Informationen zugänglich waren, mithilfe dessen Wähler:innen über die Inhalte des Referendums hätten informiert werden können, hätten diese Informationen durchaus noch weiter zugänglich gemacht werden können.
Sowohl Dion McCurdy als auch Ron Levy schlugen hierfür ähnliche Ideen vor und behaupteten, dass "ein vertrauenswürdiges Organ wie zum Beispiel eine Bürger:innenversammlung neben einer offiziellen Informationskampagne" das Informationsproblem hätten bessern können. Ron Levy schlug den "Oregon-Ansatz, der aus einer Citizens Referendum Review besteht" vor. Dieser hätte dabei geholfen, Menschen im ganzen Land zu organisieren, um Informationen zu prüfen und "verbindliche Aussagen darüber zu machen, was wahr und was falsch ist". Levys Meinungsumfrage hat gezeigt, dass solche Citizens Referendum Reviews, obwohl sie zweifellos teuer sind, im Hinblick auf Verfassungsfragen fast doppelt so viel Vertrauen genießen wie parteiische Politiker:innen.
Eine andere, einfachere Lösung wäre es gewesen, der australischen Bevölkerung bezüglich ihrer Unsicherheit entgegenzukommen, und auch Alternativen zu dem obligatorischen Referendum in Betracht zu ziehen. Dion McCurdy, der auch Inhaber einer Anwaltskanzlei ist, betonte, dass es nur natürlich sei, dass die Menschen Ängste bezüglich der Schaffung eines zentralisierten indigenen Ausschusses gehabt haben. Daher sei eine Verfassungsänderung nicht notwendig gewesen. "Eine Alternative wäre es gewesen, per Gesetz dem Parlament einen indigenen Ausschuss hinzuzufügen, und dies dann einige Jahre lang zu testen. Das wäre vielleicht ein weniger beängstigender Weg gewesen, den Menschen ein solches Mitspracherecht vorzustellen". Auch Ron Levy unterstützte diesen Punkt und argumentierte, dass der indigene Beitrag zur Demokratie auch durch andere, nicht verfassungsbezogene Formen der Beteiligung hätte gefördert werden können.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass dieses Referendum den Menschen zwar die Meinungsäußerung ermöglicht hat, aber dass die top-down Umsetzung dessen nicht unbedingt als beste demokratische Vorgehensweise gewertet werden kann. Stattdessen profitiert die Qualität der Demokratie von einem Umfeld, in dem mit Bürger:innen diskutiert, und im bottom-up Stil mit ihnen Rücksprache gehalten wird. Dies würde auch dabei helfen, Fehlinformationen einfacher zu meiden – ein Problem welches zweifellos der Debatte rund um das Referendum geschadet hat.
Ron Levy ist Professor an der Australian National University und hat zahlreiche Studien über die Praxis von Referenden in der ganzen Welt durchgeführt.
Dion McCurdy leitet in Australien eine Nichtregierungsorganisation für direkte Demokratie namens 'NewVote', und ist außerdem Direktor einer Anwaltskanzlei.
Quellen: