the global coalition for democracy

US-Midterm-Wahlen: Abtreibung und direkte Demokratie auf dem Stimmzettel

US-Midterm-Wahlen: Abtreibung und direkte Demokratie auf dem Stimmzettel

09-11-2022

Am 8. November werden rund 170 Millionen Wähler*innen in den Vereinigten Staaten anlässlich der Halbzeitwahlen, den sogenannten „Midterm-Wahlen“, an die Urnen gebeten. Doch während sich die Welt auf die Mehrheit im Repräsentantenhaus konzentriert, vergisst man leicht, dass die Wähler*innen in 37 Bundesstaaten auch über 139 Abstimmungsfragen zu entscheiden haben werden. Ballotpedia verfolgt sowohl die Wahlen als auch die Initiativen genau. Wir haben mit Jackie Mitchell von Ballotpedia über die Trends bei den Midterm-Wahlen 2022 und über direkte Demokratie in den USA gesprochen.

Die amerikanischen Wähler*innen sind regelmäßig aufgerufen, nicht nur ihre Vertreter*innen von der lokalen bis hin zur Bundesebene zu wählen, sondern auch über bestimmte Volksentscheide abzustimmen. In den einzelnen Bundesstaaten können Wähler*innen hierzu entweder von der Legislative eines Bundesstaates oder durch Bürgerinitiativen aufgerufen werden. Auf der Bundesebene gibt es in den Vereinigten Staaten keine Volksentscheide.

In diesem Jahr wird in 37 Bundesstaaten über insgesamt 139 Volksentscheiden abgestimmt. 30 davon wurden von Bürger*innen initiiert und 102 von der Legislative des jeweiligen Bundesstaates eingebracht. Ballotpedia beobachtet genaustens die neuesten Entwicklungen bei den Volksabstimmungen und in diesem Jahr lassen sich mehrere Trends erkennen. 

Nach Roe v. Wade werden Abtreibungsregelungen auf die Bundesstaatenebene verlagert

Ganz oben auf der politischen Agenda steht das Thema Abtreibung. "Dies ist die höchste Zahl von Abstimmungsfragen zum Thema Abtreibung in einem einzigen Jahr", meint Jackie Mitchell. "Seit den siebziger Jahren ist dies ein Thema für landesweite Maßnahmen. Tatsächlich gab es seit dem Jahr 2000 nur zwei Parlamentswahlen, bei denen es keine abtreibungsbezogenen Abstimmungsfragen gab, doch in diesem Jahr gibt es sechs. Das ist zweifellos auf die Entscheidung des Supreme Courts [dem Obersten Gerichtshof der USA] zurückzuführen, Roe v. Wade so gut wie aufzuheben und den Bundesstaaten die Gesetzgebungsbefugnisse zum Thema Abtreibung zu übertragen.“

In den Bundesstaaten Kansas und Kentucky haben die Gesetzgeber*innen in diesem Jahr beschlossen, das Recht auf Abtreibung in ihrer Verfassung ausdrücklich verneinen zu wollen. Dieses Vorhaben wurde in Kentucky bereits am 2. August von den Wähler*innen abgelehnt. In Montana wollen die Gesetzgeber*innen noch einen Schritt weiter gehen und einem lebendgeborenen Säugling in jeglichem Entwicklungsstadium die Rechtsstellung einer Person zusprechen. In Kalifornien und Vermont hingegen, wollen die Gesetzgeber*innen das Recht auf Abtreibung in ihren Verfassungen verankern. In Michigan schlägt der einzige von Bürger*innen initiierte Volksentscheid zu diesem Thema dies ebenso vor. "Das soll nicht heißen, dass es keine direktdemokratischen Abstimmungsvorschläge zum Thema Abtreibung gegeben hat, die hat es sehr wohl", sagt Jackie Mitchell, "aber die Zahl der Bürgerinitiativen, die sich für eine Abstimmung in den Bundesstaaten qualifizieren, ist sehr gering. Das liegt vor allem an den Kosten, die mit dem Sammeln von Unterschriften verbunden sind."

Abschaffung der letzten Spuren der Sklaverei

Andere Themen, die es in mehreren Bundesstaaten auf den Stimmzettel geschafft haben, sind die Legalisierung von Marijuana (in fünf Bundesstaaten) - diese sind in den meisten Fällen von Bürger*innen initiiert worden, Änderungen des Wahlrechts (in sieben Bundesstaaten) und schließlich Änderungen der strafrechtlichen Ahndung (in fünf Bundesstaaten). Letzteres ist ein relativ neues Thema, das zur Abstimmung gestellt wird, erklärt Jackie. "Grundsätzlich spiegeln die Verfassungen der Bundesstaaten die US-Verfassung wider, und in dieser heißt es: 'In den Vereinigten Staaten darf es weder Sklaverei noch unfreiwillige Knechtschaft geben, außer als Strafe für ein Verbrechen (...)'.  Viele Staaten sind dabei, diese Passage aus ihren Verfassungen zu streichen, weil sie der Meinung sind, dass Sklaverei und unfreiwillige Knechtschaft unter keinen Umständen erlaubt sein sollten. Den einzigen Widerstand, den diese Änderungen hervorrufen, kommt von Gefängnissen, die behaupten, dass eine solche Verfassungsänderung ihre Arbeitsprogramme beeinträchtigen könnte."

Zunehmende Schwierigkeiten für direkte Demokratie 

Auch die direkte Demokratie selbst steht in vier Staaten auf dem Stimmzettel: Arizona, Arkansas, Colorado und South Dakota. In allen vier Staaten würde es schwieriger werden, eine erfolgreiche Bürgerinitiative durchzuführen, wenn die vorgeschlagenen Maßnahmen angenommen werden würden. In Arizona und Arkansas fordern die Gesetzgeber*innen die Wähler*innen auf, das Zustimmungsquorum für einige oder alle Abstimmungsfragen auf 60 % zu erhöhen. Eine ähnliche Maßnahme wurde bereits in diesem Sommer von den Wähler*innen in South Dakota abgelehnt. 

In Arizona wollen die Gesetzgeber*innen außerdem erreichen, dass Initiativen nun in Gänze für nichtig erklärt werden, wenn sie zuvor laut Oberstem Gerichtshof eines Bundesstaates oder dem Bundesgerichtshof auch nur zu einem Teil als ungültig eingestuft wurden. All diese Maßnahmen sind von staatlichen Gesetzgebern vorgeschlagen worden.

Besonders besorgniserregend ist die Tatsache, dass die Zahl der Volksabstimmungen in den letzten Jahren stetig zurückgegangen ist, insbesondere die Zahl der von Bürger*innen initiierten Abstimmungen. Jackie Mitchell erklärt, dass dies höchstwahrscheinlich auf das exponentielle Wachstum von Kosten zurückzuführen ist, was die Durchführung einer Unterschriftenkampagne fast unbezahlbar macht

"Im Jahr 2016 hatten wir 76 Bürgerinitiativen, die es auf den Stimmzettel geschafft haben, und es kostete insgesamt 78 Millionen Dollar, also etwa eine Million Dollar pro Initiative", erklärt sie. "In diesem Jahr haben wir nur 30 Initiativen, die auf dem Stimmzettel stehen, und es kostete diese Kampagnen insgesamt 118 Millionen Dollar. Das sind also nun vier Millionen Dollar an durchschnittlichen Kosten, die es braucht, um eine Initiative auf den Stimmzettel zu bringen." 

Was haben Bürger*innen selbst auf den Stimmzettel gebracht?

Welche Bürgerinitiativen haben es also geschafft, die Hürden zu überwinden? „Das ist sehr unterschiedlich", erklärt Mitchell. "Allein in Kalifornien reichen die Themen von der Legalisierung von Sportwetten auf dem Gebiet Amerikanischer Ureinwohner*innen, über ein mögliches Verbot aromatisierter Tabakprodukte, bis hin zu einer möglichen Steuer auf Einkommen über zwei Millionen Dollar, dessen Einnahmen für emissionsfreie Fahrzeuge verwendet werden würde“.

Ein weiterer Trend, den wir beobachten, sind alkoholbezogene Initiativen, die oft von Unternehmen mit Eigeninteressen finanziert werden. "In Colorado haben sich drei Initiativen für den Wahlgang qualifiziert, die sich mit Alkoholbestimmungen befassen. Eine der Maßnahmen würde es Besitzer*innen von Spirituosengeschäften ermöglichen, eine größere Zahl an Läden besitzen zu dürfen. Außerdem soll der Verkauf von Wein in Lebensmittelgeschäften erlaubt werden. Zum Großteil wird das durch Apps finanziert, die Kund*innen Wein besorgen und nach Hause liefern. Dieselbe Kampagne hat dafür gesorgt, dass eine weitere Initiative qualifiziert worden ist, die Alkohol-Lieferdienste erlaubt. Beide Initiativen scheinen also Hand in Hand zu gehen.

Auf die Frage nach der bemerkenswertesten Initiative auf dem Stimmzettel antwortet Michell: "In Colorado haben wir eine Bürgerinitiative zur Schaffung einer Klinik für psychedelische Pilze und Pflanzen, also eine Art Pilzklinik. Oregon hat diese bereits im Jahr 2020 verabschiedet. Dieser Vorschlag 122 in Colorado würde ein sogenanntes "Programm für naturmedizinische Dienstleistungen" schaffen, sodass die Menschen einen geregelten Zugang zu Dimethyltryptamin, Ibogain, Meskalin (mit Ausnahme von Peyote), Psilocybin und Psilocyn hätten. Der Vorschlag würde den Besitz und den persönlichen Gebrauch dieser Substanzen zudem entkriminalisieren, allerdings würde es keinen Einzelhandelsverkauf geben dürfen, wie wir ihn bei Marijuana in den USA sehen. Es würde sich lediglich um ausgewiesene Heilzentren handeln.“

Die US-Zwischenwahlen - Ergebnisse

Dieser Artikel wurde im Vorfeld der Zwischenwahlen verfasst, die Ergebnisse liegen nun vor. Hier sind die Ergebnisse der im Artikel erwähnten Abstimmungen:

Abtreibung:

  •     Kentucky: Gewährleistung, dass die Verfassung des Bundesstaates weder Recht auf Abtreibung noch öffentliche Abtreibungsfinanzierung vorsehen wird - NEIN (52%)
  •     Montana: Garantie von medizinischer Versorgung für lebend geborene Säuglinge und Strafverfolgung bei der Unterlassung einer solchen Versorgung - NEIN (53%)
  •     Kalifornien: Einführung eines verfassungsmäßigen Rechts auf reproduktive Freiheit, das Abtreibung, Verhütungsmittel und schwangerschaftsbezogene Angelegenheiten miteinschließt - JA (56%)
  •     Vermont: Verankerung eines verfassungsmäßigen Rechts auf persönliche reproduktive Autonomie - JA (77%)
  •     Michigan: Einführung eines verfassungsmäßigen Rechts auf reproduktive Freiheit, das Abtreibung und Verhütungsmittel einschließt - JA (68%)

Sklaverei:

  •     Tennessee: Aufhebung des Verfassungstextes, der Sklaverei oder unfreiwillige Knechtschaft als strafrechtliche Bestrafung zulässt - JA (80%)
  •     Louisiana: Aufhebung des Verfassungstextes, der unfreiwillige Knechtschaft als strafrechtliche Bestrafung zulässt - NEIN (61%)
  •     Oregon: Aufhebung des Verfassungstextes, der Sklaverei oder unfreiwillige Knechtschaft als strafrechtliche Bestrafung zulässt - JA (54%)
  •     Vermont: Ausdrückliches Verbot von Sklaverei und Schuldknechtschaft in der Verfassung - JA (89%)
  •     Alabama: Genehmigung der Alabama-Verfassung von 2022 - JA (76%)

Direkte Demokratie:

  •     Arizona:
    •         Erlaubt der Legislative, von den Wählern genehmigte Bürgerbegehren zu ändern oder aufzuheben, die Bestimmungen enthalten, die vom Obersten Gerichtshof von Arizona oder vom Obersten Gerichtshof der USA für verfassungswidrig erklärt wurden - NEIN (67%)
    •         Bürgerinitiativen müssen ein einziges Thema umfassen - JA (55%)
    •         60 % der Stimmen für die Verabschiedung von bürgerinitierte Maßnahmen zur Genehmigung von Steuern erforderlich - JA (51%)
  •     Arkansas: 60 % der Wähler müssen für die Annahme von Bürgerinitiativen stimmen - NEIN (59 %)
  •     Colorado: VVerlangt, dass eine Tabelle, die die Änderungen der Einkommenssteuer für durchschnittliche Steuerzahler in bestimmten Steuerklassen aufzeigt, in den Titel des Stimmzettels für initiierte Maßnahmen aufgenommen wird - JA (71%)

Regulierung von Alkohol und Drogen:

  •     Colorado:
    •         Erhöhung der Anzahl von Einzelhandelslizenzen für Spirituosen, die eine Person besitzen oder an denen sie beteiligt sein kann - NEIN (52%)
    •         Schaffung einer neuen Einzelhandelslizenz für gegorene Malzgetränke und Wein, damit Geschäfte, die eine Lizenz für den Verkauf von Bier haben, auch Wein verkaufen können - JA (51%)
    •         Einzelhandelsunternehmen, die über eine Lizenz für den Verkauf von Alkohol für den Konsum außerhalb des Hauses verfügen, sollen auch Lieferungen anbieten dürfen - NEIN (52%)
    •         Entkriminalisierung des Konsums von psychedelischen Pflanzen und Pilzen und Schaffung eines Dienstleistungsprogramms für die Verabreichung solcher Substanzen - JA (52%)

Einen vollständigen Überblick über die Ergebnisse aller Abstimmungen finden Sie auf Ballotpedia.

 

Website Info

Democracy International is a registered association in Germany
(eingetragener Verein e.V.).

Gürzenichstraße 21 a-c
50667 Cologne
Germany
Phone: +49 (0) 221 669 66 50
Fax: +49 (0) 221 669 665 99
Email: contact@democracy-international.org

Amtsgericht Köln
VR-Nr. 17139

Full website information here

Data protection - Datenschutz
 

Bank

Democracy International e.V.
IBAN: DE 58370205000001515101
BIC: BFSWDE33XXX

Bank für Sozialwirtschaft
Konto: 1515101
BLZ: 37020500

 

Sign up

to our news, analyses and features on direct democracy worldwide!

Subscribe

Follow us

randomness