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Lehren aus der Konferenz über die Zukunft Europas

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Lehren aus der Konferenz über die Zukunft Europas

22-04-2022

Die EU muss den Weg zu einer Vertragsänderung und einem neuen Europäischen Konvent einschlagen

Die Konferenz über die Zukunft Europas wurde am Europatag, dem 9. Mai 2021, mit zahlreichen politischen Beteuerungen der EU zur Wiederbelebung der europäischen Demokratie eröffnet. Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, erklärte, sie wolle eine politisch integrative Konferenz ins Leben rufen, die die europäischen Bürger*innen in den Mittelpunkt des Prozesses stellt. Es war ein Versprechen, sich nicht zu sehr auf die Exekutive zu stürzen, und ein klares Signal, dass der Prozess eine echte Übung in transnationaler partizipativer Demokratie sein würde. Doch kurz vor dem Ende der Konferenz stellt sich die Frage: Hat die Konferenz ihre ehrgeizigen Versprechen erfüllt? Die Realität mag ein gemischtes Bild ergeben, aber es lassen sich bereits einige wertvolle Lehren für die Zukunft der Union ziehen.

Zunächst einmal: Was genau ist die Konferenz über die Zukunft Europas?

Ein offenkundiges Manko der Konferenz ist, dass nur wenige Europäer*innen von ihrer Existenz zu wissen scheinen. Die Medien scheinen die Bedeutung der Konferenz nicht zu erkennen und übersehen dabei den Prozess, der sich entwickelt hat. Die Konferenz über die Zukunft Europas wurde als gemeinsames Unterfangen der Europäischen Kommission, des Parlaments und des Rates ins Leben gerufen. Ihr Ziel ist es, den europäischen Bürger*innen eine Plattform zu bieten, auf der sie sich mit den Herausforderungen, vor denen die EU steht, auseinandersetzen, über Lösungen nachdenken und gemeinsame Ziele für die künftige Union definieren können. Es handelt sich um eine "Bottom-up"-Übung mit Teilnehmenden aus allen EU-Mitgliedstaaten, die Interessengruppen auf lokaler, regionaler, nationaler und europäischer Regierungsebene einbezieht. Das sichtbarste partizipatorische Element der Konferenz sind die vier "Europäischen Bürger*innenpanels", die sich jeweils aus zweihundert zufällig ausgewählten Bürger*innen zusammensetzen und die demografische, geografische und sozioökonomische Vielfalt der EU widerspiegeln sollen. Um das Verfahren kurz zu erläutern: Zunächst erörtern die Bürger*innenpanels mehrere Themenbereiche, die von Klimawandel und Bildung bis hin zu Migration und Demokratie reichen. Die Panels formulieren anschließend Empfehlungen, die an das "Konferenzplenum" gerichtet werden, ein Gremium, das sich aus Bürger*innen, der Zivilgesellschaft, den Sozialpartnern, EU-Politiker*innen und nationalen Politiker*innen zusammensetzt, die ihrerseits weiter beraten und konkrete Vorschläge annehmen. Diese Vorschläge werden dann an einen "Exekutivausschuss" weitergeleitet, der mit der Ausarbeitung des Abschlussberichts der Konferenz beauftragt ist. In der letzten Phase werden die endgültigen Schlussfolgerungen des Exekutivrats von der "Gemeinsamen Präsidentschaft" der drei EU-Institutionen geprüft, die im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeiten über mögliche Folgemaßnahmen zur Konferenz entscheiden.

Hält die Konferenz nicht, was sie versprochen hat?

Eine verbreitete Beobachtung über die Konferenz ist, dass die EU-Mitgliedstaaten ziemlich ängstlich waren. Von Anfang an haben viele nationale Regierungen gefordert, dass die Konferenz keine Empfehlungen annehmen sollte, die rechtliche Verpflichtungen schaffen könnten. Sie haben auch nachdrücklich davor gewarnt, eine Änderung des Gleichgewichts der Zuständigkeiten zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten oder zwischen den EU-Institutionen zu unterstützen, da dies eine Vertragsänderung bedeuten würde. Wenn aber die europäischen Bürger*innen aufgerufen und eingeladen werden, sich an einem langwierigen politischen Prozess zu beteiligen, dann sollten sie auch eine Art verbindliches Ergebnis erwarten können. Da die europäischen Bürger*innen ausdrücklich aufgefordert wurden, über eine zukünftige, zweckmäßige Europäische Union zu beraten, sollten natürlich auch alle Grade und Formen von Veränderungen zur Debatte stehen. Das mangelnde Engagement der nationalen Regierungen für die möglichen Ergebnisse der Konferenz geht einher mit einer mangelnden Einigkeit der verschiedenen institutionellen Komponenten darüber, was die Konferenz erreichen soll. Die unklaren Ziele der Konferenz waren für viele Teilnehmende verwirrend, da sie häufig mit Informationen überhäuft wurden und nicht immer genügend Zeit hatten, sich auf ihr Mitwirken vorzubereiten. Die Konferenz wurde auch wegen mangelnder Verfahrensklarheit kritisiert, insbesondere in den Arbeitsgruppen des Plenums, wo viele Teilnehmende ihre Unzufriedenheit mit dem unklaren Entscheidungsprozess zum Ausdruck brachten. Es gab also eindeutige Defizite bei der Transparenz der Verfahren, aber auch einen Mangel an Rechenschaftspflicht seitens der institutionellen Komponenten. Die schwache Verbindung zwischen der anfänglichen, von den Bürger*innen getragenen Beratungsphase an der "Basis" und der Entscheidungsphase der Exekutive an der "Spitze" hat bei zahlreichen Bürger*innen und Beobachter*innen der Zivilgesellschaft das Gefühl einer Übervorteilung durch die Exekutive hervorgerufen. 

Trotz einiger erwarteter Unzulänglichkeiten sollte man anerkennen, dass die Konferenz selbst bereits ein großer Schritt in die richtige Richtung ist; ein überwältigend positives Signal, dass die europäischen Führungskräfte legitime Wahrnehmungen eines Demokratiedefizits eindämmen und partizipative Mechanismen dauerhaft in der EU-Demokratie verankern wollen. Die Konferenz konnte sich im Laufe des vergangenen Jahres auf viele praktische Herausforderungen einstellen und ihre Arbeitsverfahren verbessern. Im Vergleich zum Beginn des Prozesses besteht nun ein stärkeres Gefühl der Übereinstimmung zwischen den verschiedenen Gruppen und die Erwartung, dass die Konferenz mit greifbaren Vorschlägen zur Reform der EU abgeschlossen wird. Die Krise in der Ukraine hat sich auch auf die Einschätzung der Bedeutung der Konferenz ausgewirkt, insbesondere bei den Mitgliedstaaten. Die Konferenz hat der europäischen Demokratie neuen Schwung verliehen - insbesondere bei den jüngsten Teilnehmenden - und ein politisches Momentum für größere Veränderungen geschaffen. Die Konferenz sollte daher als ein notwendiges Sprungbrett für noch größere Veränderungen gesehen werden, die noch bevorstehen. Ein erheblicher Teil der Empfehlungen des Bürger*innenpanels enthielt Vorschläge, die eine grundlegende Vertragsänderung rechtfertigen. Wir von Democracy International haben wiederholt grundlegende Vertragsänderungen gefordert, um das demokratische Funktionieren des institutionellen Entscheidungsfindungsrahmens der EU zu verbessern, aber auch um den europäischen Bürger*innen ein direktes Mitspracherecht in der EU-Politik zu geben. Wir sind auch der Meinung, dass Vertragsänderungen durch die Anwendung des ordentlichen Revisionsverfahrens nach Artikel 48 des Vertrags von Lissabon vorgenommen werden sollten, der die Einrichtung eines Europäischen Konvents vorsieht. Ebenso haben mehrere entscheidende Stimmen auf der Konferenz - wie Guy Verhofstadt, Ko-Vorsitzender des Exekutivausschusses, und viele Mitglieder aus dem gesamten Plenum - signalisiert, dass der Konferenz ein neuer Europäischer Konvent folgen muss. 

Der neue EU-Konvent

Die Konferenz über die Zukunft Europas mit ihrer mehrsprachigen digitalen Konsultationsplattform und ihrem beispiellosen Bürger*innendiskurs hat uns gezeigt, dass neue, innovative Formen der partizipativen Demokratie auf dem Vormarsch sind. Aber es gibt tatsächlich einen Weg für die Bürger*innen, über die bloße Beteiligung an der Politik hinauszugehen, indem sie in die Lage versetzt werden, die Agenda zu bestimmen und über vorgeschlagene Reformen abzustimmen. Der demokratischste Weg für grundlegende Vertragsänderungen in der EU ist daher ein Europäischer Konvent, weil er über die partizipatorischen Mechanismen hinausgehen könnte, indem er auch eine direkte demokratische Legitimation der Vorschläge durch die Wähler*innen ermöglicht. Noch einmal: Ein zentrales Manko der Konferenz war, dass die Bürger*innen für ihre Eingaben keine unmittelbar verbindlichen Ergebnisse erzielen konnten, was aber beim ordentlichen Revisionsverfahren (ORP) und dem daraus resultierenden Europäischen Konvent garantiert nicht der Fall sein dürfte. Warum ist dies der Fall und wie funktioniert es? 

Die ORP kann von der Kommission, dem Parlament oder den nationalen Regierungen initiiert werden. Angesichts der derzeitigen politischen Dynamik ist es jedoch wahrscheinlich, dass das Europäische Parlament den Beginn des Prozesses fordern wird. In Artikel 48 des Vertrags von Lissabon, der alle Mittel zur Änderung der EU-Verträge regelt, ist festgelegt, dass die ORP keine vordefinierten Beschränkungen für die Arten von Änderungen hat, die vorgeschlagen werden können. Dies würde jede Art von grundlegender Vertragsänderung zulassen, einschließlich Änderungen des Gleichgewichts der Kompetenzen zwischen den EU-Institutionen oder zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten. Das technische Verfahren des ORP ist recht kompliziert und umfasst mehrere Phasen der Konsultation mit den zuständigen EU-Institutionen. Der politisch entscheidendste Schritt und das größte potenzielle Hindernis ist die Frage, ob es im Europäischen Rat genügend Unterstützung geben wird, da dieser mit einfacher Mehrheit über jeden Vorschlag für einen neuen Konvent abstimmen muss. Im Erfolgsfall wäre der/die Präsident*in des Europäischen Rates automatisch mit der Einberufung eines Europäischen Konvents beauftragt. Es ist unwahrscheinlich, dass das Parlament das Verfahren einleiten wird, solange es sich nicht sicher ist, dass der Europäische Rat seine Zusage gegeben hat.

Artikel 48 enthält relativ wenige Bestimmungen über den anschließenden Konvent. Dies bietet den europäischen Bürger*innen und der Zivilgesellschaft eine einmalige Gelegenheit, den Konvent zu einem demokratischen, transparenten und rechenschaftspflichtigen Prozess zu machen! Artikel 48 schreibt vor, dass dem Konvent Vertreter*innen der nationalen Parlamente und Regierungen, des Europäischen Parlaments und der Europäischen Kommission angehören müssen, regelt aber nicht deren relative Anteile oder ihre genauen Aufgaben, die über die eigentlichen Zuständigkeiten hinausgehen. Es ist jedoch klar, dass ein Konvent eine bedeutende Rolle für die Bürger*innen bieten muss und dass es auch ein Forum für die Beteiligung nicht-institutioneller und nicht-staatlicher Kräfte geben sollte. Eine der wichtigsten Lehren aus dem Europäischen Konvent der frühen 2000er Jahre war, dass die fehlende Einbeziehung der Bürger*innen dazu führte, dass sich nur wenige Europäer*innen mit dem endgültigen Entwurf identifizieren konnten. Als das Ergebnis des Konvents auf nationaler Ebene ratifiziert werden musste, führten Frankreich und die Niederlande Volksabstimmungen durch, die von ihren Bürgern abgelehnt wurden. Dies war vielleicht keine Überraschung, da ihre einzige Aufgabe darin bestand, einen Text zu billigen, den sie nicht mitgestaltet hatten. Daher müssen wir unbedingt verhindern, dass sich ein solches demokratisches Trauma wiederholt, indem wir dafür sorgen, dass die Bürger*innen in jeden Schritt des Prozesses einbezogen werden. Der Konvent sollte von Anfang an Mechanismen für die Beteiligung der Bürger*innen an der Festlegung der Tagesordnung vorsehen. Ein Konvent könnte zum Beispiel eine erste Phase von Bürger*innenkonsultationen durchführen, um Ideen direkt von den Bürger*innen zu sammeln, bevor Themen zur Beratung im Konvent festgelegt werden. Eine Lehre aus der Konferenz über die Zukunft Europas war, dass die zufällige Auswahl der Bürger*innen dazu führen kann, dass bestimmte Gruppen nicht in gleichem Maße zur Teilnahme bereit sind. So nahmen beispielsweise Personen mit Vorkenntnissen über die EU mit größerer Wahrscheinlichkeit teil, was möglicherweise gebildetere Teilnehmende begünstigt hat. Das beratende Gremium eines künftigen Konvents könnte daher im Hinblick auf die Vielfalt gegenüber der Konferenz verbessert werden, indem der sozioökonomische Status, die Vertretung von Minderheiten und andere Faktoren besser berücksichtigt werden. 

Eine wesentliche Eigenschaft eines demokratisch legitimierten Konvents ist die bereits erwähnte Notwendigkeit einer direkten demokratischen Legitimation durch die Wähler*innen. Der endgültige Textentwurf des Konvents muss für ein EU-weites Referendum zur Verfügung gestellt werden, aber es sind die Mitgliedsstaaten selbst, die nationale Referenden in Übereinstimmung mit ihren eigenen verfassungsrechtlichen Anforderungen organisieren müssen. Einige Mitgliedstaaten wie Irland würden bereits ein nationales Referendum verlangen, damit ein europäischer Konventstext angenommen werden kann, während andere Staaten wie Deutschland ein unverbindliches konsultatives Referendum durchführen würden, da es keine Rechtsgrundlage für eine föderale Abstimmung gibt. Diese Ideen sind nicht erschöpfend und weitgehend ergebnisoffene Vorschläge, aber sie geben einen Einblick in die Kerneigenschaften eines demokratisch fundierten künftigen Konvents. Es ist unbestreitbar, dass die Konferenz eine Nachfrage nach einem neuen Europäischen Konvent geweckt hat, und diese Konvente werden wahrscheinlich einige Parallelen in Bezug auf ihre partizipatorischen Mechanismen und ihre Organisationsstruktur aufweisen. Dennoch ist es zwingend erforderlich, dass alle laufenden Studien und Analysen dieser großen Übung in europäischer Demokratie darauf ausgerichtet sind, so viele übertragbare Erkenntnisse wie möglich zu gewinnen. Es ist an der Zeit, dass die Bürger*innen und die Organisationen der Zivilgesellschaft die Dynamik des Wandels nutzen, die Lehren der Konferenz anwenden und einen Konvent fordern, in dem die politische Macht gleichermaßen von den Bürger*innen und nicht nur von den Regierungen ausgeht! 

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