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Die Europäische Bürgerinitiative - Eine ambivalente Geschichte

15-04-2018

„Ergreife die Initiative!" Diese Aufforderung der Europäischen Kommission an alle Bürger der Europäischen Union stellt die jüngste Entwicklung in Bezug auf die Umsetzung partizipativer und direkter Demokratie auf transnationaler Ebene dar. In Wirklichkeit bleibt die Entstehung und Anwendung der Europäischen Bürgerinitiative eine sehr ambivalente Geschichte.

Eine Hintergrundskizze von Bruno Kaufmann*.

Den Gründervätern der Europäischen Union gefiel die Idee nicht, die Bürger direkt in Entscheidungsprozesse auf transnationaler politischer Ebene einzubeziehen. Das lag weniger an den Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs als vielmehr an der wachsenden Bedrohung durch den Kalten Krieg, der zunächst die Ideen für eine demokratische europäische Föderation verdarb, die in den 1940er Jahren aufkam. Infolgedessen war der Integrationsprozess der 1950er Jahre von wirtschaftlichen und bürokratischen Überlegungen geprägt: Jean Monnets System sah keine direkte zivile Beteiligung an der Entscheidungsfindung vor. Erst Anfang der 60er Jahre formulierte ein anderer Franzose, Präsident Charles de Gaulle, die Herausforderung eines europaweiten Referendums: "Europa wird an dem Tag geboren, an dem sich die verschiedenen Völker grundsätzlich für einen Beitritt entscheiden. Es wird nicht ausreichen, wenn die Mitglieder der Parlamente für die Ratifizierung stimmen. Sie erfordert Volksabstimmungen, die vorzugsweise am selben Tag in allen betroffenen Ländern stattfinden".

Es sollte ein weiteres Jahrzehnt dauern bis der Nachfolger von de Gaulle, Georges Pompidou, einen Anfang machte und die Bürger seines Landes die ersten Europäer wurden, die an einer Volksabstimmung über Europa teilnahmen: Am 23. März 1972 stimmte eine Zweidrittelmehrheit für die Ausdehnung der damaligen Europäischen Gemeinschaft nach Norden auf Dänemark, Großbritannien, Irland und Norwegen.

Rückblickend öffnete diese Entscheidung nicht nur die Tür zum Norden, sondern auch zu mehr (direkter) Demokratie in Europa. Seitdem wurden mehr als 60 landesweite Volksabstimmungen über Europa in Europa durchgeführt, sodass der europäische Integrationsprozess in einem globalen Kontext das am häufigste gewählte Thema ist. Alle diese Abstimmungen fanden jedoch im nationalen Kontext statt. Ein transnationaler Volksabstimmungsprozess wurde nicht eingeführt, und das macht Verfassungsreferenden wie die Jüngsten in Irland über den Vertrag von Lissabon im Hinblick auf gleiche Stimmrechte in der gesamten EU ziemlich problematisch. Während die europäischen Bürger heute noch keine Entscheidungen auf transnationaler Ebene treffen können, haben die europäischen Verträge das Recht eingeführt, zumindest die politische Agenda durch die Europäische Bürgerinitiative (EBI) festzulegen.

Erste Vorschläge für eine EBI 

Die ersten Vorschläge für ein transnationales Instrument wurden vor mehr als 30 Jahren, in den letzten Momenten des Kalten Krieges, gemacht. Seitdem haben sich das Europäische Parlament und die Europäische Kommission in einer Reihe von Entschließungen wiederholt für die Einführung direktdemokratischer Elemente auf europäischer Ebene ausgesprochen. Die ersten Vorschläge für ein transnationales Instrument wurden vor mehr als 30 Jahren, in den letzten Zügen des Kalten Krieges, gemacht. Seitdem haben sich das Europäische Parlament und die Europäische Kommission in einer Reihe von Resolutionen wiederholt für die Einführung direktdemokratischer Elemente auf europäischer Ebene ausgesprochen.

In den ersten Tagen der Demokratisierung Europas wurden diese Resolutionen jedoch oft vage formuliert als: "eine parallele Strategie, die es dem Volkswillen erlaubt, sich durch Volksinitiativen zu äußern (....)," und die Einführung von EU-weiten Volksbefragungen/Meinungsumfragen.

Im Dezember 1993 sprach sich der Ausschuss für Grundfreiheiten und innere Angelegenheiten für die Einführung eines "Europäischen Referendums" sowie für die Möglichkeit von Bürgerabstimmungen über "Gemeinschaftsentscheidungen" aus. Solche Impulse des Europäischen Parlaments haben dazu beigetragen, dass im Vorfeld und während der Regierungskonferenz von Amsterdam Mitte der 90er Jahre die Möglichkeit der Einführung eines formellen Vorlagerechts für EU-Bürger auf dem Tisch lag.

Die damaligen Außenminister Österreichs (Schüssel) und Italiens (Dini) schlugen vor, dass 10% der europäischen Bürger (mit Unterschriften aus mindestens drei Ländern) dem Europäischen Parlament eine Vorlage vorlegen könnten, die dann zu prüfen wäre. Dieser Vorschlag, der auf der Regierungskonferenz nicht unterstützt wurde, sah keine anschließende Volksabstimmung vor. Die Idee wurde jedoch später vom Petitionsausschuss des Parlaments aufgegriffen, der versuchte, das Petitionsrecht zu einem vollwertigen Vorlagerecht auszubauen.

Der eurotopia-Moment 

Nach den dramatischen Veränderungen von 1989 in Europa zeigten Aktivisten, Journalisten und Wissenschaftler mehr Interesse am Thema der transnationalen direkten Demokratie. Die 1991 in Rostock gegründete europäische Netzwerkorganisation eurotopia hat in mehr als 20 europäischen Tagungen über 10 Jahre Methoden zur Einbindung der Bürger in einen europäischen Verfassungsprozess sowie die ersten Elemente der direkten Demokratie in einer solchen Verfassung entwickelt.

Für das Gründungsreferendum über eine europäische Verfassung wurde eine "doppelte qualifizierte Mehrheit" vorgeschlagen: "Die Verfassung muss nicht nur von einer Mehrheit aller EU-Bürger, sondern auch von einer Mehrheit der Bürger in 4/5 aller EU-Mitgliedstaaten angenommen werden". Ab 1994, im Vorfeld der Regierungskonferenz von Amsterdam, bildeten zahlreiche europäische NGOs ein europäisches Netzwerk unter dem Namen Inter-Citizens Conferences (ICC): In der sogenannten "Loccum-Erklärung" formulierten sie eine Reihe von demokratischen Anforderungen für eine Europäische Charta der Bürgerrechte. Dazu gehörte erstmals das Vorlagerecht vor dem Europäischen Parlament. 

Das in Deutschland ansässige Aktivisten-Netzwerk "Mehr Demokratie" begann damals, eine europäische Strategie und konkrete Vorschläge zu entwickeln. Es wurde ein umfassendes Instrumentarium von Initiativen und Volksabstimmungen erarbeitet, darunter ein mehrstufiges Initiativrecht und ein obligatorisches Referendum für Vertragsänderungen. Die Entwürfe betonten, dass eine "Verfassung keine Voraussetzung für die Etablierung direktdemokratischer Rechte in der EU" sei.

Zusammen mit dem Vorschlag der Dini/Schüssel-Initiative ebneten die verschiedenen zivilgesellschaftlichen Beiträge den Weg für eine Debatte im Rahmen des Konvents zur Zukunft Europas, welcher im Februar 2002 einberufen wurde. Nach einem halben Jahrhundert europäischer Integration ersetzte dieses Gremium die Geheimdiplomatie zwischen den Staaten und brachte zum ersten Mal einen Hauch von Transparenz und parlamentarischer Mehrheit in die Verhandlungen über den europäischen Verfassungsvertrag. Die Versammlung des Konvents bot allen die Möglichkeit, die Diskussionen zu verfolgen. Oder zumindest teilweise, da das mächtige Präsidium mit Valéry Giscard d'Estaing als Präsident nicht öffentlich tagte.

Der Durchbruch 2003

Auf dem Konvent wurde ein ganzes Paket von Demokratievorschlägen vorgelegt, darunter Änderungen von Alain Lamassoure (EVP-ED, Frankreich), Johannes Voggenhuber (Grüne/EFA-Österreich), Josep Borell Fontelles (SPE - Spanien), Sylvia-Yvonne Kaufmann (GUE - Deutschland), Casper Einem (SPE - Österreich) und Jürgen Meyer (SPE - Deutschland).  

Der von 77 Mitgliedern des Konvents unterzeichnete und als I-46, Teil I, Titel VI (CONV 724/03) am 12. Juni lancierte Meyer-Vorschlag schaffte es schließlich, den letzten Widerstand im Präsidium des Konvents zu brechen und trug zu einem späten und willkommenen Durchbruch bei. Dieser letzte Änderungsentwurf war die Grundlage für den endgültigen Verfassungstext, den der Vorsitzende des Konvents, Giscard, am 13. Juni vorgelegte. Zum ersten Mal in der Geschichte sollten die Bürger das Recht erhalten, sich an der Gestaltung der politischen Agenda über die nationalen Grenzen hinaus zu beteiligen.

Allerdings dauerte es weitere neun Jahre, bis endlich ein neuer Vertrag (2009) und eine EBI-Verordnung verabschiedet wurde, um schließlich auch formell mehr als 500 Millionen Bürgern in 28 Mitgliedstaaten die Möglichkeit zu geben, aktiv zu werden. Am 1. April 2012 begann eine neue Ära. Seitdem wurden 67 EBI bei der Europäischen Union eingereicht. 19 wurden von der Kommission aus rechtlichen Gründen abgelehnt. 48 Initiativen wurden registriert. 23 haben das Ziel von einer Million Unterschriften innerhalb von 12 Monaten verfehlt, während sieben Initiativen von den Organisatoren selbst zurückgezogen wurden. 7 EBIs sammeln derzeit Unterschriften und 4 haben es geschafft, alle notwendigen Anforderungen zu erfüllen (die Minority SafePack Initiative hat kürzlich eine Million Unterschriften erhalten und würde eine Fünfte ausmachen, muss aber noch von den Mitgliedstaaten und der Kommission überprüft werden). Keine von Ihnen wurde vollständig umgesetzt.

Diese Zahlen zeigen eine ganz klare Botschaft: Die Möglichkeiten der direkten Demokratie in der Europäischen Union sind nach wie vor sehr gering. Um erfolgreich zu sein, muss sich das ändern. Bald.

*Bruno Kaufmann ist Vorstandsmitglied von Democracy International und Global Democracy Korrespondent des Schweizer Rundfunks. Er war Mitbegründer des europtopia-Netzwerks, das 1991 die ersten Ideen für eine Europäische Bürgerinitiative entwickelte.

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