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Gerhard Schuster von der IG Eurovision

Demokratie – ein leuchtender Stern!

13-09-2019

Österreich hat eine Regierungskrise hinter sich und am 29. September gibt es vorgezogene Neuwahlen. Zwei unserer Mitgliederorganisationen, mehr demokratie! Österreich und die IG-EuroVision, haben vor der Wahl eine Initiative ergriffen und wollen damit die Diskussion um die Zukunft der Demokratie in Österreich beleben. Caroline Vernaillen war dazu mit Gerhard Schuster im Gespräch.

Die Initiative finden sie hier.

CV: Österreich steht vor vorgezogenen Neuwahlen. Kannst Du, bevor wir loslegen und zu eurer Demokratie-Initiative kommen, nochmal kurz in Erinnerung rufen, was geschehen ist?

GS: Okay. Lass mich kurz überlegen, es ist ja einiges passiert in den letzten Monaten. Es begann alles Mitte Mai mit dem Ibiza-Video. Die Süddeutsche Zeitung und Spiegel online hatten es an die Öffentlichkeit gebracht. Das Video zeigt unseren damaligen Vizekanzler Heinz-Christian Strache von der FPÖ, wie er mit einer gefakten russischen Oligarchennichte in korrupten Machtphantasien schwelgt. Das haben ja sicher alle gesehen. Strache tritt zurück, die Koalition platzt, Neuwahlen werden ausgerufen und zuletzt wird auch der verbleibenden Regierung unter Bundeskanzler Sebastian Kurz von der ÖVP im Parlament das Misstrauen ausgesprochen. Die Ereignisse haben sich überschlagen und es wurde eine parteiunabhängige Übergangsregierung unter Brigitte Bierlein gebildet. Und damit haben wir jetzt auch gleich die erste Frau im Kanzleramt.

CV: Viel los in Österreich ...

GS: ... und was auch spannend ist, das Parlament hat gleich begonnen, im freien Spiel der Kräfte, wie das bei uns heißt, also mit wechselnden Mehrheiten, Gesetze zu beschließen, die vorher in den Zwängen der Koalitionsbanden keine Mehrheiten finden konnten. Es wurde endlich das von der FPÖ blockierte Rauchverbot in Lokalen beschlossen, für das in einem Volksbegehren letzten Herbst fast 900.000 Unterschriften gesammelt wurden. Es wurde der Schutz des Wassers, also ein Privatisierungsverbot in der Verfassung verankert, Glyphosat wurde verboten, Parteispenden wurden begrenzt und noch einiges anderes wurde umgesetzt. Ein kurzer Moment lebendigen Parlamentarismus.

CV: Ja, und in dieser Situation habt ihr in Österreich eine Aktion begonnen und sammelt unter dem Namen „Initiative für komplementäre Demokratie“ Unterschriften für eine Petition.

GS: Genau! Wir sind ja schon lange in Österreich für die direkte Demokratie unterwegs und jetzt betreiben wir – also unser Verein IG-EuroVision – eine gemeinsame Initiative mit mehr demokratie! Österreich und mit Unterstützung von Democracy International. Diese Zusammenarbeit freut mich sehr. Die Kräfte bündeln und an einem Strang ziehen!

CV: Du sagst, ihr seid für die direkte Demokratie unterwegs. Jetzt heißt es aber bei euch „komplementäre Demokratie“. Was hat es damit auf sich?

GS: Es ist eigentlich ganz einfach. Es geht um die Ergänzung der repräsentativen Demokratie um einen – wie ich immer sage – adäquaten Prozess der direkten Demokratie. Es geht also auch um die direkte Demokratie, aber wir betonen, dass es um eine zweite Säule geht.

CV: Eine zweite Säule neben dem Parlamentarismus.

GS: Wir wollen die Demokratie insgesamt ins Auge fassen. Wir wollen zeigen, dass ein ausschließlich repräsentatives System, ein Nur-Parlamentarismus noch nicht voll legitimiert ist. Wenn wir wählen, legitimieren wir Menschen. Sie sollen im Parlament nach ihrem besten Wissen und Gewissen aus dem freien Mandat heraus Gesetze beschließen. Aber mit den Wahlen legitimieren wir noch nicht den konkreten Inhalt dessen, was sie beschließen. Das ist ja gar nicht möglich, weil die Menschen, die sich da zur Wahl stellen, treten in Parteien an und präsentieren ganze Wahlprogramme mit Positionen zu den unterschiedlichsten Themen. Inhaltlich ist es ein pauschales Gesamtpaket. Dann gehen diese Parteien auch noch Koalitionen ein und schließen Kompromisse. Es ist also ganz unmöglich, dass durch die Wahl klar wäre, was die Wählerinnen und Wähler im einzelnen Fall einer Entscheidung mehrheitlich wollen. Wahlen alleine legitimieren nicht die einzelne, konkrete Entscheidung, dazu braucht es den Popularvorbehalt.

CV: Kannst Du das noch ein wenig ausführen. Was genau meint „Popularvorbehalt“?

GS: Der Popularvorbehalt ist sozusagen strukturell schon dann gegeben, wenn es die zweite Säule in der Demokratie einfach nur gibt, also wenn ein adäquater Prozess der direkt-demokratischen Willensbildung und Entscheidung existiert und aus der Mitte der Rechtsgemeinschaft von jedem einzelnen Mitglied dieser Gemeinschaft aktiviert werden kann. Das heißt wenn die Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit haben, eine Volksinitiative zu starten, die bei genügend großer Unterstützung Schritt für Schritt über das Volksbegehren hin zu einer verbindlichen Volksabstimmmung geführt werden kann.

Wenn eine Gesetzesinitiative stark genug ist, wird sie direkt-demokratisch beschlossen und hat einen parlamentarischen Beschluss aufgehoben, ergänzt oder es wurde etwas ganz neues dadurch zum Gesetz, wenn eine Initiative nicht stark genug wird oder wenn erst gar keine Initiative ergriffen wird, dann ist das Volk eben mit dem, was das Parlament entschieden hat, einverstanden. Das ist der Popularvorbehalt.

CV: Und daher die zwei Säulen, die beide da sein müssen, um insgesamt von Demokratie sprechen zu können.

GS: Ja, und wenn man das einmal wirklich gedacht hat, dann ist es klar, dass wir eben noch nicht von einer vollständig verwirklichten Demokratie sprechen können, solange wir den Nur-Parlamentarismus haben oder solange die direkt-demokratischen Instrumente noch mangelhaft sind. Wir können vom inneren Begriff der Demokratie her erkennen: Die volle Legitimation ist nur gegeben, wenn die Demokratie auf zwei Säulen steht. Das ist einer der Gründe, warum wir von komplementärer Demokratie sprechen.

CV: Das ist schon interessant. Aber ich frage mich, ob die Menschen nicht anderes viel mehr interessiert? Es sind ja viele ganz existentielle Fragen virulent: Die Klimakrise oder der Artenschutz am Beispiel des Volksbegehrens in Bayern oder eben das Rauchverbot in Österreich, wofür es ja, wie du gesagt hast, sehr viel Unterstützung gab. Die Menschen wollen einfach mitbestimmen. Locken da solche fast philosophischen Gedanken die Katze überhaupt hinter dem Ofen hervor?

GS: Natürlich geht es letztlich auch um diese brennenden Fragen, die du genannt hast, selbstverständlich! Und es geht auch um das Gefühl, dass es nicht sein kann, dass ich nur alle 4 oder 5 Jahre wählen darf und dann wieder schweigen muss. Wir sprechen auch darüber mit den Menschen, wenn wir auf der Straße sind und Unterschriften sammeln, aber wir betonen eben auch dieses innere Wesen der Demokratie. Ich weiß nicht, wie das aufs Ganze gesehen mit dem Ofen und der Katze ist, aber ich weiß, dass mich selbst gerade diese klaren Gedanken aktiv haben werden lassen – vor über 20 Jahren, als ich diesen Dingen begegnet bin.

Also ich erlebe in der Idee der Demokratie selbst den Antrieb. Diese Idee ist ein leuchtender Stern. Es steht die Idee der menschlichen Emanzipation dahinter, um die wir als Menschheit ja seit Jahrhunderten ringen und die wir Schritt für Schritt erringen, nicht nur im Demokratischen, auch in unserem geistig-kulturellen Leben und auch im Wirtschaftlichen. Am Anfang war mal ein Pharao und dann der Papst und Kaiser und heute haben wir wenigstens in Teilen der Welt, einen freien Gedankenaustausch, wir haben Parlamente, die wir immerhin wählen, aber wir haben auch noch Industriemacht und eine starke Herrschaft des Geldes. Da liegen noch viele Aufgaben vor uns in dem großen Emanzipationsprojekt der Menschheit und da meine ich eben, dass es ohne klare Begriffe von Demokratie und ihren Aspekten nicht geht.

CV: Also du meinst nicht, dass das ein zu abstrakter Zugang ist? Eine Initiative zur Rettung der Bienen ist ja konkreter!

GS: Ich finde es sehr gut, dass es diese Beispiele dort gibt, wo es dazu schon die Möglichkeiten gibt. Aber es gibt auch diese andere Seite. Ich bin überzeugt, dass wir erst dann wirklich nachhaltig ans Ziel kommen, wenn dieser Stern gesehen wird. Wenn wir die Demokratie in ihrem Wesen erkannt haben. Lass mich dazu etwas ausholen: Wir haben ja in unserer Verfassung in Österreich Elemente der direkten Demokratie. Wir haben das Volksbegehren, was eigentlich die Stufe der Initiative ist, um Gesetzesvorschläge ans Parlament zu bringen. Der Nationalrat muss sich dann damit befassen, aber mehr auch nicht. Es ist komplett unverbindlich. Und wir haben auch die Volksabstimmung in der österreichischen Verfassung. Die findet entweder obligatorisch statt, bei sogenannten Gesamtänderungen der Verfassung – das war bisher nur bei dem Beitritt Österreichs zur EU der Fall. Die zweite Möglichkeit ist, dass der Nationalrat eine Volksabstimmung ansetzt für ein Gesetz, das parlamentarisch vorher schon beschlossen wurde. Das gab es in der österreichischen Geschichte auch erst einmal, 1978 zur Inbetriebnahme eines Atomkraftwerkes, das dann fertig gebaut nicht ans Netz ging. Diese beiden Rechte, das Initiativrecht und das Abstimmungsrecht gibt es in Österreich seit 1920 und in der zweiten Republik gab es dann eben diese zwei Volksabstimmungen und ab 1964 bis heute über 40 Volksbegehren. Aber der Mangel ist, dass das Initiativrecht nicht mit dem Abstimmungsrecht verbunden ist. Und zu diesem Mangel gibt es seit den 50er-Jahre Vorschläge. Seit über 60 Jahren gibt es Vorschläge, dass auch die Initiativen bis zu einer Volksabstimmung gelangen können sollen. Aus allen Parteien heraus. Gute und weniger gute Vorschläge. Konkret eingebrachte Initiativanträge im Parlament oder Wahlkampfversprechen. Vor ein paar Jahren gab es eine Enquete-Kommission zum Thema, wo über viele Sitzungen hinweg im Parlament diskutiert wurde. Ich war damals da auch dran beteiligt. Auch die letzte Regierung hatte das Thema in ihrem Koalitionsabkommen. Dennoch ist bis heute nichts geschehen. Wenn man 60 Jahre lang versucht ein Fass ohne Boden mit Wasser zu füllen und dann kommt einer und sagt: Das ist ja noch gar kein richtiges Fass, wenn es keinen Boden hat und den Beteiligen leuchtet das ein, dann werden sie dem Fass den Boden einbauen und siehe da, es wird klappen mit dem Befüllen. Das ist eben meine These: Wenn wirklich erkannt wird von genügend vielen Menschen, dass die Demokratie ihrem Wesen nach, zwei Säulen hat, dann wird man nicht mehr darüber diskutieren, ob das gut ist oder schlecht, ob die Menschen dazu reif sind oder nicht, ob dann die Todesstrafe wieder kommt – die Argumente sind ja durch all die Jahrzehnte bis heute immer die gleichen. Aber wenn es wirklich verstanden wird, dann muss man sich sagen, ja wenn wir als moderne Gesellschaft uns nicht bevormunden lassen wollen, dann heißt eben Demokratie komplementäre Demokratie mit einer repräsentativen und mit einer direkt-demokratischen Säule.

CV: Das leuchtet mir schon ein, aber hat das Parlament nicht Angst, dann seine Macht zu verlieren.

GS: Die Parteien haben vielleicht diese Angst. Ihr Ziel ist es ja meist nur, an die Regierung zu kommen. Da liegt ja heute der Macht-Pol in Österreich nicht anders als in Deutschland und vielen anderen Ländern. Die Idee der Gewaltenteilung ist aber eigentlich die, dass wir unterscheiden zwischen Exekutive und Legislative. Die Exekutive, also die Regierung vollzieht die Gesetze, die vom Parlament – und in Zukunft auch vom Volk direkt – beschlossen wurden. In der Praxis ist aber heute das Parlament der verlängerte Arm der Regierung. Nur in solchen Ausnahmesituationen, wo wir plötzlich eine partei-unabhängige Regierung haben – wie sie eigentlich in der österreichischen Verfassung vorgesehen ist – erleben wir plötzlich einen lebendigen Parlamentarismus. Daher passt jetzt unsere Initiative auch so gut, wie ich meine! Denn wenn Gesetze erst mal aus der Mitte des Volkes angestoßen werden und nicht mehr nur aus der Regierung und den Parteikonstellationen, dann wird sich eine Regierung einmal prinzipiell erleben können in der dienenden Rolle, die Gesetze zu vollziehen. Das würde auch das Parlament stärken! Daher sprechen wir auch von einer Stärkung der Demokratie insgesamt.

CV: Jetzt sind wir sehr tief in die Sache eingestiegen, lass uns zum Schluss noch auf die Initiative und die Aktionen kommen, die ihr damit verbindet. Und vielleicht auf euren konkreten Vorschlag.

GS: Gerne. Also wir haben mehrere Elemente in unserer Kampagne. Das eine ist eine Pledge-Aktion. Wir geben den Kandidatinnen und Kandidaten die Möglichkeit, ein Versprechen abzugeben, sich für eine substantielle und vertiefte Diskussion um die Stärkung der Demokratie einzusetzen. Und wir verbinden dieses Versprechen mit der Möglichkeit Stellung zu nehmen zu dem konkreten Vorschlag, den wir machen für die Ausgestaltung der zweiten Säule.

 Da schlagen wir ja einen dreistufigen Prozess der Volksgesetzgebung vor. Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid. Mit entsprechenden Hürden und ein paar Eckpunkten, was die Ausgestaltung betrifft. Das kann man ja nachlesen. Was uns dabei auch sehr wichtig ist, das ist die Medienbedingung. In der Zeit vor der Volksabstimmung sind die gleichberechtigte und umfassende Information und Diskussion über das Pro und Kontra zu gewährleisten. Das wollen wir in der entsprechenden Weise auch in unsere Verfassung schreiben. Das nimmt die klassischen Medien und auch die Plattformen sozialer Netzwerke in die Pflicht, diese gesellschaftliche Funktion für den demokratischen Prozess wahrzunehmen.

CV: Das findet man auf eurer Webseite.

GS: Ja das findet man dort, aber da ist auch noch Forschungsbedarf, wie man das im Detail ausgestalten kann. Wir schlagen ein neues demokratisches Organ vor, einen Medienrat, der diese gleichberechtigte Kommunikation gestaltet und durchsetzt.

Also das ist die Pledge-Aktion für die Kandidatinnen und Kandidaten und der konkrete Vorschlag. Dann haben wir noch eine Petition. Da geht es eben um die Idee der komplementären Demokratie und um die Forderung einer breiten Diskussion darüber. Wir sammeln online und auf der Straße. Wir bauen mit der European Public Sphere die Kuppel auf und haben viele sehr gute Gespräche mit den Menschen und zu den Dome-Talks landen wir interessante Gesprächspartner ein. Wir versuchen mit wenigen Mitteln viel auf die Beine zu stellen. Wir können aber auch noch viel Hilfe gebrauchen. Und wir sehen das im Übrigen so, dass die Demokratie in Österreich ja für alle Menschen interessant sein kann. Und so kann auch ein Deutscher oder eine Belgierin die Petition unterzeichnen, nicht nur wir Österreicherinnen und Österreicher.

CV: Dann hoffe ich, dass viele Menschen, die das hier lesen, dies auch tun werden. Ich wünsche euch alles Gute und noch viel Aktivität bis zur Wahl.

GS: Vielen Dank! Es war ein prima Gespräch!

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