Artikel verfasst von
Daniel Schily
Member of the Executive Board
"Die dekonstruierte Gesellschaft oder das Ende der Aufklärung"
Essay von Andreas Zivy im Schwabe Verlag (2025)
Eine Buchbesprechung von Daniel Schily
Andreas Zivy, Politologe, Unternehmer und engagierter Demokratie-Aktivist, veröffentlichte im Schwabe Verlag 2025 ein Essay in Buchform mit dem Titel: „Die dekonstruierte Gesellschaft oder das Ende der Aufklärung“. Im Mittelpunkt seiner Analyse steht die gegenwärtige Krise der liberalen Demokratie. Im Unterschied zur umfangreichen Fachliteratur dazu beschreibt Zivy in seinem kurzen Werk anschaulich, verständlich, ganzheitlich und spannend die zahlreichen Symptome und Ursachen des Verfalls demokratischer Strukturen. Er belegt mit Fakten und eindrücklichen Beispielen, wie demokratische Gesellschaften weltweit erodieren und ihre bewährten Verfahren zunehmend durch populistische und sogar faschistische Strömungen abgelöst werden. Besonders hebt er hervor, dass diese Dekonstruktion der Gesellschaft mit einer Zunahme von Emotionen, Irrationalitäten, Narzissmus und Illusionismus einhergeht. Gleichzeitig nimmt die Bedeutung von Vernunft, Wissenschaftlichkeit und Gemeinsinn ab.
Das Essay lässt offen, wie diesem beunruhigenden Verfall der Demokratie konkret entgegengewirkt werden kann. Die am Ende des Buches kurz erwähnten Empfehlungen von Yascha Mounk – die Bekämpfung wirtschaftlicher Ungleichheit, die Regulierung moderner Medien sowie die Schaffung eines neuen Gemeinsinns – werden nur am Rande gestreift. Zivy setzt offenbar voraus, dass die Leserschaft sich eigenständig ein Bild davon machen kann, wie eine aufgeklärte und konstruktive „prä-dekonstruierte“ Gesellschaft aussehen sollte, in der Demokratie und Liberalität gedeihen könne.
Trotz der düsteren Grundstimmung, die das Essay vermittelt und die als dystopischer Pessimismus erscheinen mag, ist es gerade in der heutigen Zeit wichtig, die Gefahren und die Krise unserer demokratischen Gesellschaften ernst zu nehmen. Zivys unterhaltsam zu lesende Schrift schärft das Bewusstsein für diese Herausforderungen und regt zur Reflexion an.
Es war schon Thomas Jefferson, der betonte, dass Aufklärung und Bildung der Bevölkerung die beste Garantie für die Erhaltung der Freiheit sind. Das Buch von Andreas Zivy verdient daher eine zahlreiche Leserschaft, denn am Anfang einer jeden Therapie steht die klare Diagnose.
Für eine vertiefende Auseinandersetzung wäre es aus Sicht des Rezensenten wünschenswert, wenn sich Zivy in einem möglichen nächsten Essay mit den Grundlagen einer aufgeklärten Gesellschaft beschäftigen würde.
Dazu gehören für den Rezensenten denkende, gebildete und engagierte Bürgerinnen und Bürger, der Aufbau einer resilienten föderalen Demokratieordnung für Europa und darüber hinaus , sowie die Entwicklung eines zeitgemäßen Verständnisses von Souveränität – vom Einzelnen bis zum Weltbürger. Zudem sollte eine klare Unterscheidung getroffen werden zwischen demokratischen Souveränitätsordnungen (gemeinsame Souveränität), wirtschaftlicher Freiheit (Vertragsfreiheit im demokratischen Rahmen) und individuellen Freiheitsrechten. So ließe sich neben der Diagnose der aktuellen Krise ein konkreter Plan für die Wiedererstarkung und Weiterentwicklung der liberalen Demokratie entwerfen und umsetzen.