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Ein Referendum? Der Fall Belarus

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Ein Referendum? Der Fall Belarus

25-02-2022

Wenn Menschen über Referenden sprechen, geht man oftmals davon aus, dass es sich hierbei um einen Prozess handelt, der der Demokratie dient; die Menschen können mitbestimmen und es werden Entscheidungen im Sinne des Volkes getroffen. Laut dem Direct Democracy Navigator handelt es sich bei einem Referendum um eine Volksabstimmung, die bottom-up stattfindet, also vom Volk initiiert wird. Wie sieht es für den anstehenden Volksentscheid in Belarus aus?

Von Alina Krintovski

Disclaimer: Belarus ist kein demokratisches Land. Vielen Jahren regiert Lukaschenka das Land autokratisch. Selbst wenn er einen Volksentscheid anbietet, legitimiert dieser Prozess seine Entscheidungen nicht. Der von ihm als Referendum bezeichnete Plebiszit wird von Democracy International nicht als demokratisches Mittel unterstützt, denn bei dieser Wahl geht es nicht darum, eine demokratisch freie Wahl zu organisieren, die auf der Basis einer Initiative durch das Volk entsteht. Der Prozess kann nicht mit direkter Demokratie gleichgesetzt werden. Im Folgenden bezeichnen wir Lukaschenkas sogenanntes Referendum als Plebiszit, auch wenn es von offizieller Seite und anderen Medien als Referendum bezeichnet wird.

Wenn Menschen über Referenden sprechen, geht man oftmals davon aus, dass es sich hierbei um einen Prozess handelt, der der Demokratie dient; die Menschen können mitbestimmen und es werden Entscheidungen im Sinne des Volkes getroffen. Laut dem Direct Democracy Navigator handelt es sich bei einem Referendum um eine Volksabstimmung, die bottom-up stattfindet, also vom Volk initiiert wird. Wie sieht es für den anstehenden Volksentscheid in Belarus aus?

Am Sonntag wird in Belarus abgestimmt. Es handelt sich aber nicht um die vom Volk lange geforderten Neuwahlen – die Wahl Lukaschenkas[1] im August 2020 gilt als Scheinwahl, es konnten Wahlmanipulationen nachgewiesen werden. Stattdessen veranlasste der Autokrat ein Plebiszit, das über konstitutionelle Änderungen entscheiden soll. 

Auf der Seite des belarussischen Präsidenten heißt es, dass Bürgerinnen und Bürger, die wahlberechtigt sind, „bei nationalen und lokalen Referenden zu den wichtigsten Fragen des Staates und der Gesellschaft“ befragt werden. Wörtlich steht dort ein Referendum sei „die wichtigste Manifestation der Demokratie, die es der Bevölkerung ermöglicht, unabhängig die wichtigsten Entscheidungen zu treffen, die ihr Leben beeinflussen.“ Nationale Volksabstimmungen werden in Belarus allerdings auf Initiative des Präsidenten sowie auf Vorschlag der Abgeordnetenkammer und des Rates der Republik durchgeführt. In der Typologie des Direct Democracy Navigator wird das dann Plebiszit genannt. Sie können aber auch auf Vorschlag von mindestens 450.000 wahlberechtigten Bürger*innen durchgeführt werden. Das ist selbst für Demokratien eine erstaunlich hohe Hürde. Zum Vergleich: die Schweiz hat eine ähnliche Bevölkerungsdichte, für ein Vetoreferendum werden dort 50.000 Unterschriften gebraucht. Für eine Initiative für ein neues Gesetz 100.000 Unterschriften.

Im Januar 2021 kündete Lukaschenka an bis zum Ende des Jahres einen neuen Konstitutionsentwurf vorzulegen, im Januar 2022 wurde der finale Entwurf auf der Website der Regierung veröffentlicht. Über die Website der Regierung kann theoretisch jeder in Belarus seine eigene Änderung vorschlagen oder seine Haltung gegenüber der Regierung zum Ausdruck bringen. Lukaschenkas Plan war es die politische Lage im Land wieder zu entspannen. Die Opposition hingegen lehnt das Plebiszit ab. Sie werfen dem Präsidenten vor es als Maßnahme zu nutzen, um seine Regierungszeit noch weiter auszuweiten, wenngleich auch nicht auf direktem Wege. Tatsächlich sieht der Entwurf des Präsidenten vor, dass die Amtszeit eines Präsidenten oder einer Präsidentin nur fünf Jahre dauern kann und dieselbe Person nur zwei Mal gewählt werden darf. Diese Regelung tritt allerdings erst nach der nächsten Präsidentschaftswahl in Kraft, seine eigene Amtszeit hat er dadurch auf null Jahre gesetzt. Sollte Lukaschenka also 2025 noch einmal Präsident werden, kann er prinzipiell noch bis 2035 regieren. Aber auch danach muss er nicht um seinen Einfluss fürchten: Im Entwurf zur Verfassungsänderung schlägt Lukaschenka vor der Gesamtbelarussischen Volksversammlung massive Entscheidungsgewalt einzuräumen und sich selbst als Mitglied auf Lebenszeit einzusetzen.        

Die Gesamtbelarussische Volksversammlung soll aus 1200 Mitgliedern bestehen die auch Vertreter aus dem Volk beinhalten sollen. Die Beschlüsse der Gesamtbelarussischen Volksversammlung sollen bindend sein und könnten Rechtsakte und andere Entscheidungen von Staatsorganen und Beamten, die „den Interessen der nationalen Sicherheit zuwiderlaufen“, aufheben, mit Ausnahme der Entscheidungen von Justizorganen. Diese sollen wiederum von der Gesamtbelarussischen Volksversammlung gewählt und entlassen werden, nachdem sie zuvor durch den Präsidenten vorgeschlagen werden. Wörtlich heißt es im Entwurf weiter, dass die Gesamtbelarussische Volksversammlung das „oberste Vertretungsorgan der Volksmacht der Republik Belarus“ werden soll, „das die strategischen Richtungen der Entwicklung der Gesellschaft und des Staates bestimmt, die Unverletzlichkeit der Verfassungsordnung, die Generationenfolge und die bürgerliche Eintracht gewährleistet“. Hier wird deutlich, dass das neue Staatsorgan von größerer Relevanz sein wird als die Position des Präsidenten.    

Weiterhin schlägt Lukaschenka vor, dass Menschen, die in Haft sind oder durch ein Gericht für geschäftsunfähig erklärt worden sind, nicht gewählt werden und auch nicht an Wahlen teilnehmen dürfen, derzeit gibt es laut FAZ-Angaben um die 1000 politischen Gefangenen, die teilweise auch schon vor den Präsidentschaftswahlen 2020 in den belarussischen Gefängnissen festgehalten wurden. Es ist auch verboten, die Kosten für die Vorbereitung und Durchführung von Wahlen durch ausländische Staaten und Organisationen, ausländische Bürger*innen sowie in anderen gesetzlich festgelegten Fällen zu finanzieren. Menschen, die zur Wahl des Präsidenten antreten wollen, müssten künftig nachweisen, dass sie ihren ständigen Wohnsitz seit mindestens 20 Jahren in Belarus haben. Es soll denen schwer gemacht werden, die seit 2020 in der Opposition sind, die Wahlergebnisse anfechten und infolgedessen im politischen Exil oder im Gefängnis sind.

In einem anderen Absatz soll die Ehe als Bund zwischen Mann und Frau definiert werden. Weiterhin soll der Staat die „historische Wahrheit und die Erinnerung an die Heldentaten des belarussischen Volkes während des Großen Vaterländischen Krieges“ bewahren. Dadurch will Lukaschenko sicherstellen, dass die traditionellen konservativen Werte des Landes bewahrt werden und die Erinnerungspolitik zu seinen Gunsten ausfällt; wer die Macht darüber hat, wie die Vergangenheit präsentiert wird, hat auch die Macht, seine Taten in der Gegenwart durch diese Darstellungen zu rechtfertigen. Auch bei den Nachbarn in Russland ist das eine gängige Methode: indem die Sowjetunion als der schillernde Sieger über den Nationalsozialismus präsentiert wird, lassen sich die stalinistischen Gräueltaten nicht nur unter den Teppich kehren, sondern auch rechtfertigen.

Insgesamt umfasst das Dokument 15 Seiten und wurde ein Jahr lang durch die belarussischen Behörden ausgearbeitet. Den Wählerinnen und Wählern in Belarus bleiben aber nur zwei Monate, sich mit dem Entwurf auseinanderzusetzen. „Das genaue Datum wurde bewusst bis auf den letzten Moment geheim gehalten, um eine Mobilisierung der Opposition nicht zu befördern.“ Sagt uns Alexander Moisseenko. Er ist ein Vertreter des Vereines RAZAM, der die Interessen von in Deutschland lebenden Belarussen und Belarussinnen unterstützt und Aufklärungsarbeit rund um Belarus leistet. „Die Zentrale Wahlkommission wird ihm das von ihm gewünschte Ergebnis zur Verfügung stellen. Wie sich die weitere Situation entwickeln wird, ist sehr schwer einzuschätzen. Die Demokratiebewegung wird unabhängig vom Ergebnis dieses „Referendums“ an ihren Zielen festhalten.“ Sagt er weiter.

Alexander Moisseenko erklärt auch, dass Lukaschenka mit der Verfassungsänderung nach seiner Amtszeit nicht strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden könnte. Dass der Volkentscheid jetzt stattfindet hat auch damit zu tun, dass der Machthaber die Zeit nutzt, in der die Proteste gegen ihn und seinen Wahlbetrug abgeebbt sind. Er hofft darauf, seine Macht möglichst unkompliziert langfristig sicher zu können. „Berücksichtigt man allerdings die Geschehnisse in Kasachstan Anfang des Jahres,“, so Moisseenko, „bei dem die Privilegien des langjährigen früheren Machthabers Nursultan Nasarbajew in Zuge von Protesten eingeschränkt worden sind, könnte man sagen, dass Lukaschenko dieses Plebiszit nicht allzu viel bringt. Womöglich handelt es sich bei dem Volksentscheid um eine Forderung Putins, um mehr Macht in Belarus zu erhalten und die gesellschaftliche Spaltung etwas zu verringern.“

Die Menschen fordern seit mehr als 17 Monaten neue und faire Neuwahlen, stattdessen bekommen sie einen Volksentscheid, der durch Lukaschenka initiierte ist. Dieser ist maximal undemokratisch. Nicht nur, dass das belarussische Volk das Plebiszit nicht gefordert hat, die Vorschläge darin kommen ausschließlich dem amtierenden Präsidenten und der geplanten Gesamtbelarussischen Volksversammlung als neues, unersetzbares Staatsorgan zu Gute. So ist das, was am Sonntag in Belarus passieren soll nur im besten Fall als Plebiszit zu bezeichnen. Doch scheinbar demokratische Instrumente in einem undemokratischen Land, in dem die Menschen nicht am Entstehungsprozess der konstitutionellen Änderungsentwürfe teilnehmen können, bleiben unfair. Eine reale, demokratische Partizipation bleibt den Bürgerinnen und Bürgern in Belarus weiterhin verwehrt.

„Üblicherweise werden bei Wahlen in Belarus Mitarbeiter von staatlichen Betrieben, Studenten und andere Personengruppen zur vorzeitigen Stimmabgabe genötigt, weil sich in diesem Zeitraum die Wahlen nachts, ohne Anwesenheit von Wahlbeobachtern, am einfachsten gefälscht werden können.“ Erklärt Moisseenko. „Es kann davon ausgegangen werden, dass dies auch dieses Mal der Fall sein wird. Die Demokratiebewegung ruft dagegen auf am offiziellen Wahltag zu erscheinen und bei den Stimmzetteln ungültig abzustimmen, weil an diesem Tag, die Fälschung der Ergebnisse schwieriger ist. Häufig wird von der Zentralen Wahlkommission bei Wahlen eine Wahlbeteiligung von rund 80 Prozent angegeben. Wie sehr dies der Realität entspricht, ist schwer nachzuprüfen, weil seit 1994 keine Wahl in Belarus von der OSZE als frei und unabhängig anerkannt worden ist. Die Wahlbeteiligung kann angesichts der beschriebenen Faktoren aber tatsächlich relativ hoch ausfallen.“

 


[1] Der Name mit dem A am Ende entspricht der Schreibweise im Belarussischen

 

Article photo courtesy:  Natallia Rak (CC BY-NC 2.0) https://www.flickr.com/photos/93940495@N06/50294640737

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