Könnten Sie erklären, was Lernende Demokratie ist?
Generell, in allen Arten von Organisationen, wenn man nicht kontinuierlich überdenkt, was man tut und wie man es tut, landet man irgendwann in die Sackgasse. Dieses Gefühl erleben auch viele Menschen in unserer Gesellschaft, sei es bei ökologischen, demokratischen oder finanziellen Fragen. Immer mehr haben große Teile der Bevölkerung das Gefühl, das zeigen auch verschiedene Untersuchungen und Umfragen, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann. Die Art und Weise, wie wir heute Politik betreiben, ist nicht nachhaltig, und das liegt zumindest teilweise an der Art und Weise, wie wir unsere Demokratie organisieren: wie wir die Probleme bestimmen, die wir lösen wollen, wie wir Lösungen dafür finden und wie wir uns für diese Lösungen entscheiden und sie umsetzen. Wie wir diese Entscheidungen treffen, hat sich im Laufe der Zeit kaum verändert.
Kein kommerzielles Unternehmen könnte es sich leisten, nicht ständig die Art, wie es produziert, weiterzuentwickeln. Wir nennen dieses Konzept "lernende Organisationen", der Begriff "lernende Demokratie" ist dem entlehnt. Einer der wesentlichen Gründe dafür, dass es in Deutschland so viele erfolgreiche Unternehmen gibt, vor allem im Maschinenbau, ist, dass sie sich die Zeit nehmen, darüber nachzudenken, wie man es besser machen kann. Sie bewerten zusammen mit ihren Mitarbeitern, Kunden und Lieferanten, wie sie funktionieren, Dass das partizipativ abläuft, ist sehr wichtig. Genau darum geht es. Eine lernende Demokratie ist eine Gesellschaft, die versucht, besser zu sein, als sie im Moment ist, die versucht, besser zu funktionieren, als sie funktioniert!
Das heißt, es ist ein kontinuierlicher Prozess und ein Prozess, in dem Lernen keinen negativen Nachgeschmack hat, in dem Menschen nicht "Oh Gott, schon wieder" sagen, sondern wo Lernen ganz selbstverständlich als etwas gesehen wird wie Atmen: "Ja, natürlich nehmen wir uns diese Zeit! Schauen wir uns an, wie wir das bisher gemacht haben, und überlegen wir, wie wir es besser machen können.“
Wir müssen eine Kultur des Lernens über Demokratie in unseren Gesellschaften schaffen?
Ja, aber es ist wichtig, die Frage der Lernende Demokratie nicht auf die Bürgerbeteiligung zu reduzieren. Es ist verlockend zu glauben, dass es bei Lernender Demokratie nur darum geht, wie die Bürger einen stärkeren Einfluss auf Politik und Demokratie ausüben können. Die Menschen verwechseln die Lernende Demokratie auch oft mit „Demokratie lernen“, also der Frage, wie Demokratie funktioniert. Das sind natürlich ganz wichtige Themen, aber das ist nicht der Hauptschwerpunkt unseres Projekts. Auf diesem Gebiet tut sich bereits viel.
Wie wird Akademie Lernende Demokratie unsere Demokratie verbessern?
Unseren Fokus ist wirklich der Prozess der "politischen Wertschöpfung", also der Art und Weise, wie wir gemeinsam Gemeinwohl produzieren. Wir versuchen, Probleme gemeinsam zu lösen, nicht nur Staat und Verwaltung, sondern auch Parteien, Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Kirchen, Universitäten - alle Institutionen einer Gesellschaft. In einer Demokratie tragen alle dazu bei, sie mit ihren eigenen Stärken, mit dem, was sie gut können, zu verbessern. Gemeinwesen kann sich nur dann wirklich entwickeln, wenn alle in diese Lernpartnerschaft einbezogen sind. Die Akademie Lernende Demokratie konzentriert sich darauf, wie das gelingen kann.
Die Akademie Lernende Demokratie hat drei Ziele. Erstens wollen wir auf dieses Thema aufmerksam machen. Wir müssen klarstellen, dass, wenn wir nicht anfangen, mehr Zeit, Energie und Kompetenzen zu investieren, damit wir überdenken wie wir Politik betreiben, wie wir Demokratie betreiben, es nicht so weiter gehen wird. Ein Teil unserer Aufgabe ist es nun, Kampagnen zu führen, um dieses Thema der Öffentlichkeit, aber auch den Verwaltungen, politischen Akteuren und Stiftungen nahe zu bringen. Es ist wichtig, deutlich zu machen, dass wir Kompetenzen brauchen, dass wir Menschen, Ressourcen und Stellen brauchen, die sich darum kümmern. In gewisser Weise brauchen wir ein eigenes Politikfeld für eine bewusste Demokratiepolitik.
Die zweite Säule ist die Akademie im engeren Sinne: eine Schule für Demokratieentwickler. Es geht um Befähigung, Ausbildung und Erziehung der Menschen, diese Lernprozesse zu entwickeln, unabhängig davon, ob sie für politische Verwaltungen, die Zivilgesellschaft oder Unternehmen arbeiten oder sogar normale Bürger sind. Sie können sehr unterschiedliche Hintergründe haben und versuchen, auf lokaler, regionaler, Bundesebene oder europäischer Ebene etwas zu bewegen. Wir brauchen Demokratievorfechter! So wie in Unternehmen heute ganze Abteilungen an der Organisationsentwicklung arbeiten, wo die Mitarbeiter kontinuierlich neue Instrumente entwickeln und diesen Lernprozess selbst gestalten, so brauchen wir auch in jeder Gemeinde, in jeder Verwaltung, in jedem Staat, in jedem Ministerium solche Profis, die solche bereichsübergreifenden Lernprozesse moderieren können. Wir wollen diese Lernbegleiter ausbilden. Dazu arbeiten wir mit einer Reihe von Partnern zusammen, so hat beispielsweise die Universität Tübingen bereits ihre Unterstützung zugesagt.
Drittens, aber das ist wirklich mehr eine Unterstützung unserer beiden Hauptziele, wollen wir die Forschung zum Thema Demokratieentwicklung vertiefen und erweitern. Wir wollen herausfinden, welche Beispiele von Lernender Demokratie es bereits gibt, und dieses Wissen veröffentlichen, um es zugänglich zu machen. Wir wollen Unterrichtsmaterialien, Lehrpläne usw. entwickeln. Wir brauchen auch eine Qualitätssicherung: Wie stellen wir sicher, dass nicht nur oberflächliches Lernen, sondern auch wirklich transformatives Lernen stattfindet? Wir müssen sicherstellen, dass die Kompetenzen, die durch die Akademie entwickelt und vermittelt werden, die Menschen wirklich befähigen, Prozesse in ihren Kommunen nachhaltig zu gestalten. Das sind die Ziele der Akademie Lernende Demokratie.