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Article photo courtesy of 7c0 (CC BY 2.0)

Demokratie trotz Krise

20-01-2022

Clara Egger ist Professorin für internationale Beziehungen an der Universität Groningen in den Niederlanden und beschäftigt sich mit der Rolle der Bürger*innen und ihrer Macht in der heutigen Demokratie. 

Neben dieser Arbeit ist Egger auch Leiterin des EXCEPTIUS-Projekts, das außergewöhnliche Entscheidungsprozesse in 32 europäischen Ländern analysiert. Durch interdisziplinäres Wissen trägt das Projekt zur Erforschung der Widerstandsfähigkeit von Demokratien bei, indem es untersucht, warum sich einige demokratische Systeme als krisenresistenter erweisen und welche politischen Reformen diese Widerstandsfähigkeit erhöhen. Im Gespräch mit unserer Praktikantin Angel Antonova erzählt sie uns, wie das Projekt ins Leben gerufen wurde und was die faszinierendsten Ergebnisse ihrer Untersuchungen sind.

 

Von Angel Antonova

EXCEPTIUS begann kurz nachdem die COVID-Pandemie im September 2020 begann, die Welt zu überrollen. Zu dieser Zeit hatte Clara Egger zwei Kolleg*innen in Frankreich, die mit der Sammlung von Daten über die Covid-19-Maßnahmen begannen. "Und dann", so Egger, "brachte mich eine*r von ihnen auf die Idee, ein internationales Team zu gründen. Ich holte viele Kolleg*innen und Partner*innen aus Polen, Malta, Spanien und so weiter. Was passiert in diesen Ländern in Bezug auf außergewöhnliche Maßnahmen?". Clara Egger bewarb sich dann bei der niederländischen Forschungsagentur für Gesundheitsforschung und -entwicklung um eine Finanzierung - und bekam sie auch. "So haben wir diese ursprüngliche Idee gewissermaßen vergrößert", sagt sie.

Inzwischen besteht das Team aus Forscher*innen in 15 verschiedenen Ländern Europas. Sie alle eint das Interesse daran, wie unterschiedlich die einzelnen Länder auf die Pandemie reagiert haben und weiterhin reagieren, und darüber hinaus, wie Demokratien mit einer Krise wie COVID-19 umgehen. Das Team erhebt nicht nur Daten auf nationaler Ebene, sondern sammelt und wertet auch Daten auf subnationaler Ebene aus.

"Wir wollen verstehen, wie die Regierungen während COVID-19 von einer demokratischen Regierungsführung abgewichen sind“.

Laut Egger besteht das Hauptziel von EXCEPTIUS darin, herauszufinden, was Länder in Bezug auf demokratische Regierungsführung und Menschenrechte krisenresistent macht. Denn jedes Mal, wenn es eine große Krise gibt, besteht die Gefahr, dass die Krise von den Regierungen und ihren außerordentlichen Befugnissen zum Abbau der Demokratie genutzt wird.

Bislang konnte das Team um Clara Egger zeigen, dass die Schwere der Pandemie allein nicht erklärt, was die Regierungen tun: "Was erklärt, was die Regierungen tun, ist eigentlich der Grad des Vertrauens, den sie haben. Wenn eine Regierung das Vertrauen der Bevölkerung genießt, ergreift sie Maßnahmen, die viel angemessener sind, als wenn kein Vertrauen vorhanden ist. Es gibt also ein politisch-rationales Element". Harte Maßnahmen, so Egger, erhöhen auch das Maß an Misstrauen gegenüber einer Regierung. Und je höher dieses Niveau ist, desto stärker werden die Maßnahmen, weil die Regierungen um die Einhaltung dieser Regeln fürchten. Dieser Teufelskreis ist zum Beispiel in Frankreich zu beobachten, wo die Menschen in den letzten Monaten vermehrt auf die Straße gegangen sind, um gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zu protestieren.

Darüber hinaus erforscht das Team derzeit mit Schwerpunkt auf Frankreich, Belgien und den Niederlanden, warum die Staatsführung in einigen Fällen versuchte, den Verlust von Freiheit durch die Gewährung neuer Rechte zu kompensieren: "Wir haben festgestellt, dass ein Land die Demokratie umso besser bewahrt, je stärker es vor der Krise demokratisiert war. Das ist also sowohl eine gute als auch eine schlechte Nachricht. Die gute Nachricht ist, dass wir vor der Krise für eine solche Krise planen können. Wenn wir also in der Lage sein wollen, die Demokratie in Krisenzeiten besser zu bewahren, müssen wir jetzt demokratische Reformen durchführen. 

In Ungarn oder Polen sei die Demokratie bereits gefährdet, das Risiko des Demokratieabbaus sei dort viel höher als in anderen Ländern. Aber es gibt laut Egger auch positive Beispiele: In der Schweiz und auch in den Niederlanden seien die Maßnahmen sehr transparent, die Bevölkerung sei weniger regierungsresistent. In den Niederlanden zum Beispiel wurden die Maßnahmen gelockert, als die Lage entspannter war, und wieder verschärft, als die Hospitalisierungsrate wieder in die Höhe schoss.

"Journalist*innen und Politiker*innen sollten sehr vorsichtig sein, wenn sie Länder vergleichen“.

Auch wenn die Niederlande heute strengere Vorschriften haben als noch vor ein paar Wochen, ist es sehr schwierig, Länder und ihre Maßnahmenkataloge zu vergleichen, sagt Egger. Die Länder verwenden oft das gleiche Vokabular - Ausgangssperre, grüner Pass oder Ausgangssperre - um unterschiedliche Maßnahmen zu beschreiben. Insbesondere die Ausgangssperre ist eine von den Regierungen ergriffene Maßnahme, die in Europa, aber auch weltweit, sehr unterschiedliche Einschränkungen bedeutet. Eine Ausgangssperre in den Niederlanden ist viel weniger einschränkend als eine Ausgangssperre in Frankreich, Polen oder Ungarn. EXCEPTIUS will diese Unterschiede erfassen und beschreiben. Neben diesen unterschiedlichen Bedeutungen einzelner Maßnahmen und dem unterschiedlichen Vertrauensniveau in den jeweiligen Ländern spielen auch unterschiedliche Erfahrungen mit der Bewältigung einer Pandemie in der Vergangenheit eine Rolle für die Situation in den einzelnen Ländern.

"Diese Webinare haben uns geholfen, über einige spezifische Fälle nachzudenken.

Neben dem Sammeln und Analysieren von Daten konzentriert sich EXCEPTIUS auch auf den Wissenstransfer. EXCEPTIUS organisierte und veranstaltete eine Reihe von Webinaren auf YouTube, die für alle Interessierten zugänglich sind und sich mit aktuellen, dringenden Fragen der Demokratie befassen, wie z. B. dem Demonstrationsrecht, dem Wahlrecht und der Durchführung von Wahlen in Zeiten von Pandemien. Doch die Webinare halfen dem Team nicht nur, seine Erkenntnisse mit den Menschen zu teilen und sie auch denjenigen zugänglich zu machen, die keine wissenschaftlichen Veröffentlichungen oder Studien lesen. Sie ermöglichten es dem Team auch, einen guten Blick auf sehr spezifische Situationen außerhalb Europas zu werfen, nämlich in Afrika und Asien.

In naher Zukunft möchte EXCEPTIUS auch einen Podcast veröffentlichen, der sich mit der Frage befasst, wie man die demokratische Widerstandsfähigkeit in Krisenzeiten aufrechterhalten kann.

Auf die Frage nach den überraschendsten Ergebnissen ihrer Arbeit bei EXCEPTIUS antwortet Clara Egger, dass es die Tatsache ist, dass weder die Gesundheitsressourcen noch die Schwere der Pandemie das Handeln der Regierungen bestimmen, was recht ungewöhnlich zu sein scheint: "Es gibt viel mehr als das, um zu erklären, warum die Regierungen so handeln, wie sie es tun. In einigen Fällen neigen sie dazu, auf die Krise überzureagieren. Eine der spannendsten Fragen für die Zukunft bleibt natürlich, wie man das Virus am wirksamsten bekämpfen und gleichzeitig die Demokratie bewahren kann. Die Welt konzentriert sich im Moment auf die öffentliche Gesundheit und die Gesundheitskrise. Die Herausforderungen für die Demokratien, die sich aus der Pandemie ergeben, sollten jedoch nicht ignoriert werden.

Democracy International unterstützt das Projekt als Partnerorganisation der Zivilgesellschaft. Wenn Sie weitere Informationen und Neuigkeiten über EXCEPTIUS wünschen, finden Sie diese hier. Die Datensätze des Teams sind auch auf der Website des Projekts verfügbar.

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