Newsletter N°7 - September 2018
EDITORIAL
„Mehr oder weniger Demokratie?“ das ist die Frage
Es versteht sich von selbst, dass mehr Demokratie besser ist als weniger. Allerdings führten jüngste Entwicklungen der globalen Demokratie zu den vielfältigsten Interpretationen von mehr oder weniger Demokratie. Machtkonzentration, reduzierte oder stark eingeschränkte Gewaltenteilung sind Resultat „demokratischer“ Wahlen. Beispiele hierfür sind die USA, Russland, Polen, Ungarn und die Türkei. Gleichzeitig steigt die Anzahl von Referenden und partizipatorischen Prozessen - sei es auf lokaler, nationaler oder internationaler Ebene.
Die (zu) mächtigen AnführerInnen reagieren mit von oben eingeleiteten beratenden Referenden auf die Wünsche der BürgerInnen – die Ergebnisse bleiben in den Händen der PräsidentInnen, KanzlerInnen und Parlamenten. Die Problematik über die entschieden wird, der Wortlaut der Fragen und der Zeitpunkt liegen vollständig in den Händen der wenigen Regierenden. Von den Vielen wird lediglich erwartet, diese Entscheidungen zu rechtfertigen und zu legitimieren.
Ein anderer Ansatz, mit der wachsenden Nachfrage nach mehr Demokratie umzugehen, sind beratende, nicht-bindende partizipatorische Prozesse, die als Ventil für den steigenden demokratische Druck dienen. Diese Prozesse sind häufig einzig und allein auf die lokale Ebene beschränkt. Umstrittene, nationale Entscheidungen zu Themen wie etwa die Bankenrettung mit Hilfe von Steuergeldern, Budgets sowie Militär- und Sicherheitsentscheidungen werden außen vor gelassen.
Allerdings gibt es Hoffnung, dass die wachsende Nachfrage nach wahrer, ehrlicher Demokratie auf Seiten der Vielen, des Sovereigns, des Volkes, ihren Durchbruch haben wird. Immer mehr PolitikerInnen, insbesondere von neu entstandenen Parteien, sind bereit diese Bewegung zu unterstützen. Gleichzeitig könnten Repräsentierende der Regierung Wahlniederlagen befürchten, wenn sie wahre Demokratie ablehnen. Als BefürworterInnen und ExpertInnen der direkten Demokratie ist es in unserer Verantwortung diese Bewegung mit Kompetenz und präzisen Vorschlägen anzuleiten und zu unterstützen.
Eine Kombination von deliberativen Bürgerversammlungen und bindenden Referenden ist entscheidend für diese Bewegung. Auf der einen Seite stehen die Bürgerversammlungen, die zufällig ausgewählten, gewöhnlichen BürgerInnen die Möglichkeit bieten, relevante und neutrale Informationen zu erhalten und sich eine Meinung zu Themen zu bilden. Bindende Referenden, die von Bürgern initiiert werden, stellen die andere wichtige Seite der Demokratie Münze dar. Bei beiden Instrumenten, ist es wichtig, dass das Volk die Möglichkeit hat den Prozess zu initiieren, Themen auszuwählen, über Wortlaut der Empfehlungen und Referendumsfragen zu entscheiden, sowie den Zeitpunkt dieser politischen Prozesse zu bestimmen.
Wir haben in jüngster Zeit vielversprechende Beispiele dafür in British Columbia, Kanada und Irland gesehen, aber die Umsetzung der Vorschläge, die sich aus diesen Bürgerversammlungen ergeben, hinkt aufgrund hoher Hürden hinterher. Deshalb sollte sich die erste Bürgerversammlung, wenn wir die Diskussion über die Einführung von Bürgerversammlungen in Österreich und Deutschland beginnen, auf die Frage konzentrieren: Wer trifft wirklich die endgültige Entscheidung über bestimmte Vorschläge der Bürger?
Erwin Mayer
Vorstandsmitglied von Democracy International und Sprecher von Mehr Demokratie Österreich.
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