Newsletter N°18 - November 2020
EDITORIAL
Direkte Demokratie als Medizin gegen Zerrissenheit in den USA
Das Schicksal der Präsidentschaft von Donald Trump und die Zukunft Amerikas waren nicht die einzigen Entscheidungen, vor denen die Wähler*innen am 3. November standen. In 32 Bundesstaaten stimmten die Bürger*innen über 117 bundesstaatliche direktdemokratische Vorlagen ab. Im 21. Jahrhundert ist diese Wahl damit diejenige mit den wenigsten Abstimmungsvorlagen, was auf die immensen Herausforderungen zurückzuführen ist, die mit der Unterschriftensammlung und der Erfüllung anderer gesetzlicher Anforderungen verbunden sind, um ein Thema inmitten von COVID-Einschränkung zur Abstimmung zu bringen.
Wie bei jeder Wahl, bei der die Menschen die Möglichkeit bekommen, Entscheidungen über Sachfragen zu treffen, die ihr tägliches Leben beeinflussen, waren die Themen der Abstimmungsvorschläge weitreichend - von Tierschutz, Drogenlegalisierung, Arbeitnehmerrechten, Rasse und Einwanderung, Abtreibung bis hin zur Gestaltung einer neuen Flagge, Souveränitätsrechten und über das Schicksal der direkten Demokratie selbst.
Die Zukunft der direkten Demokratie selbst stand in Arkansas, Florida, und North Dakota zur Abstimmug. Alle drei Vorschläge, die zu einer Verschlechterung der direktdemokratischen Regeln geführt hätten, wurden durch die Wähler*innen abgelehnt. Dies sind Ergebnisse, die den festen Glauben der Bürger*innen an die Notwendigkeit der direkten Demokratie als Kontroll- und Ausgleichsmöglichkeit für die Regierung deutlich machen.
Doch sprechen die Gerichte den Menschen immer häufiger die Fähigkeit ab, in Fragen, die ihnen am wichtigsten sind, richtig zu entscheiden. Durch großzügige und fragwürdige Auslegungen der formalen Voraussetzungen für die Aufnahme von Themen in den Wahlzettel, haben die Gerichte Initiativen vor der Wahl für ungültig erklärt, da sie gegen undurchsichtige und unlogische Gesetze verstoßen haben, die sowohl den Inhalt von Wahlvorschlägen einschränken, als auch vorschreiben wer überhaupt Unterschriften sammeln darf.
Diese Wahl hat, wie viele andere zuvor auch, deutlich gemacht, dass die direkte Demokratie auf der Ebene der Bundesstaaten in den Vereinigten Staaten ein wichtiges Instrument der Selbstverwaltung und eine notwendige Kontrolle ist, wenn es darum geht, die Macht der Regierungen einzuschränken. Sie ist auch ein Sicherheitsventil, das es dem Volk ermöglicht, über kontroverse und spalterische Fragen so abzustimmen, dass eine friedliche Lösung des Problems erreicht wird. Aus diesem Grund ist die direkte Demokratie auch auf Bundesebene ein entscheidendes Instrument. Die Amerikaner*innen brauchen die Möglichkeit, ihre Meinung zu höchst kontroversen Themen kollektiv als Nation zu äußern.
Wenn es eine direkte Demokratie auf Bundesebene gäbe, bestünde kaum Zweifel daran, dass die Wähler*innen mit geringerer Wahrscheinlichkeit Personen ins Amt wählen würden, die von der Uneinigkeit eines Themas profitieren, und stattdessen diejenigen ins Amt setzen würden, die die Rechtsstaatlichkeit respektieren und sich für die Einigung und nicht für die Spaltung einsetzen werden. Hoffen wir, dass diese Wahl der erste Schritt ist, um das kritische Bewusstsein zu wecken, das notwendig ist, um den Bürger*innen direkte Demokratie auf föderaler Ebene zu ermöglichen, damit wir unser Schicksal nicht länger in die emotionalen Verirrungen einer einzelnen Person legen müssen.
M. Dane Waters,
Vorstandsmitglied, Democracy International
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