Newsletter N°13 - September 2019
EDITORIAL
Wer ist eigentlich das Volk?
Als Sebastian Kurz und mit ihm die ganze Ministerriege von der Regierungsbank aufstanden, um den Sitzungssaal des österreichischen Nationalrates zu verlassen, postete er auf Facebook über den zuvor erfolgreich abgestimmten Misstrauensantrag: „Das Parlament hat bestimmt. Das Volk wird entscheiden! Unser Weg hat erst begonnen.“
Wie kann es angehen, dass im 21. Jahrhundert der Parteichef der ÖVP, jener Partei, die mehr oder weniger die ganze Zeit der zweiten Republik in Regierungsverantwortung war, Parlament und Volk so auseinanderzudividieren versucht. Wie kann es angehen, dass Sebastian Kurz meint, den Willen des Volkes schon zu kennen, aus dem ja mit Gewissheit der begonnene Weg bald fortgesetzt würde.
"Jetzt liegen wir mit der Idee einer komplementären Demokratie goldrichtig!“, dachte ich mir in diesem Moment. Wenn solcher Populismus schon ganz oben in der Regierung angekommen ist, dann ist es Zeit für einen neuen Anlauf. Dann sollten wir im Vorfeld der jetzt angesetzten Neuwahlen eine Kampagne starten.
Die Idee der Demokratie in die Mitte stellen! Den Begriff des Volkssouveräns in adäquater Weise zur Erscheinung bringen! Als das Subjekt, das niemand, kein einzelner Mensch, keine Partei, keine Klasse oder wer auch immer für sich in Anspruch nehmen kann, sondern das sich in seinem Willen immer nur je und je selbst bildet. Durch klare demokratische Prozesse.
Ein solcher Prozess ist die Wahl. Hier wird der Wille des Souveräns in Hinblick auf die Zusammensetzung des Parlaments gebildet. Soll aber danach das populistische Reden vom Willen des Volkes und die Anmaßung, ihn zu kennen, nicht weitergehen, dann bedarf es neben Wahlen auch noch eines gut ausgestalteten Volksgesetzgebungsprozesses. Es bedarf der komplementären Demokratie, die auf zwei Säulen steht, der repräsentativen und der direkt-demokratischen.
Wir machen dazu den konkreten Vorschlag eines dreistufigen Prozesses: Volksinitiative, Volksbegehren, Volksabstimmung.
Auf der Stufe der Volksinitiative legt eine bestimmte Anzahl von Bürgerinnen und Bürgern dem Parlament einen Gesetzesentwurf vor. Das Volksbegehren findet statt, wenn der Vorschlag nicht unverändert angenommen wurde. Jetzt stellt sich die Frage, ob der Gegenstand der Initiative wirklich eine Sache ist, über die alle abstimmen sollen. Wird die Frage bejaht, indem das Volksbegehren wiederum ein bestimmtes Quorum an Unterstützung erreicht, findet eine Volksabstimmung statt. Es entscheidet die Mehrheit der abgegebenen Stimmen, wobei in der Zeit vor einer Volksabstimmung die gleichberechtigte und umfassende Information und Diskussion über das Pro und Kontra zu gewährleisten ist.
So die Eckpunkte unseres Vorschlages, zu dem die Kandidatinnen und Kandidaten vor der Wahl Stellung nehmen können. Außerdem laden wir sie ein, ihr Versprechen abzugeben, sich für eine substantielle und breite Diskussion zur Stärkung der Demokratie in Österreich einzusetzen. Begleitet wird diese Aktion von einer Petition.
Alle Menschen – ob aus Österreich oder aus der ganzen Welt – sind eingeladen, diese Petition zu unterstützen, damit künftig nicht mehr spekuliert werden kann, was das Volk eigentlich will. Sondern damit das Volk, von dem nach Artikel 1 der österreichischen Verfassung das Recht ausgeht, in einem klaren demokratischen Prozess seinen verbindlichen Willen bilden kann – angestoßen nicht von oben, sondern aus seiner eigenen Mitte heraus, indem jeder Mensch jederzeit die Initiative zur Weiterentwicklung der Gesetze ergreifen kann.
Herzliche Grüße,
Gerhard Schuster,
Initiative für komplementäre Demokratie
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