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Dane Waters

“Direkte Demokratie ist ein Sicherheitsventil”

01-11-2017

In unserer Reihe "Country in focus" befasst sich Democracy International weltweit mit Fortschritten der modernen direkten Demokratie und von Bürgerbeteiligung. Diesen Monat stehen die Vereinigten Staaten von Amerika im Rampenlicht.

1998 gründete Dane Waters, frustriert durch das Fehlen von Informationen über direktdemokratische Instrumente, das Initiativ- und Referendums-Institut. Heute bietet das Institut, das mittlerweile an der University of Southern California angesiedelt ist, unentbehrliche Dienstleistungen für alle, die in den USA an Initiativ- und Referendumsprozessen arbeiten oder diese nutzen.

Dane, Sie haben vor fast 20 Jahren das „Initiative und Referendum Institut“ gegründet. Was war Ihre Vision für das Institut, als Sie anfingen?

Ich wurde in Alabama geboren, wo wir keinen Initiativ- und Referendumsprozess kennen. Tatsächlich hatte ich noch nie etwas von diesem Prozess gehört, bis ich bei US Term Limits arbeitete, einer Organisation, die darauf hin arbeitete, eine Amtszeitbeschränkung für Amtspersonen und Kongressmitgliedern einzuführen. Sie nutzten den Initiativprozess, um ihr Anliegen durchzubringen, und so war es interessant zu erfahren, dass ein solcher Weg existierte.

Eine Sache, die ich, als ich dort arbeitete, gelernt habe, war, dass es keinen zentrale Stelle gab, um herauszufinden, wie man Themen auf den Stimmzettel setzt. Als ich also US Term Limits verließ, um das Initiative und Referendum Institut zu gründen, lag der primäre Fokus darauf, eine Clearingstelle für Informationen für Menschen zu sein, die das Verfahren nutzen wollten.

Wir waren in keiner Weise ideologisch, wir wollten nur zeigen, dass es ein wichtiger Prozess ist und den Menschen beibringen, wie man ihn benutzt. Ich begann auch, wissenschaftliche Forschungen über diesen Prozess zu sammeln und versuchte, sie in eine zentrale Anlaufstelle für alle Menschen einzubringen, die direkte Demokratie studieren wollten. Das war also der Anstoß.

Die USA haben eine sehr starke Geschichte der direkten Demokratie. Sehen Sie einen Unterschied in der politischen Partizipation und Kultur zwischen den Staaten, die diese Option haben, und jenen, die das nicht können?

Es gibt viele Unterschiede. Betrachtet man wissenschaftlich die etwa 24 Staaten, die den Initiativprozess in diesen Ländern haben, so stellt man fest, dass sie in den meisten Fällen eher auf den Willen des Volkes eingegangen sind. Weil die Leute den Initiativprozess haben, um Sachfragen vor den Gesetzgeber zu bringen, oder wenn Gesetzgeber nicht gewillt gewesen sind, bestimmte Fragen anzusprechen, können sie das. Ich würde argumentieren, dass es in Staaten, die den Initiativprozess haben, mehr Demokratie gibt als in jenen, die diese Instrumente nicht kennen.

Aber wenn man es im Vergleich zu anderen Ländern betrachtet, gehören wir zu den Ländern, die noch nie eine nationale Abstimmung über ein bestimmtes politisches Thema durchgeführt haben. Ich glaube, das war für uns ein Problem, weil diese Prozesse eine Art Sicherheitsventil sind. Wenn sehr komplizierte und emotionale Themen angesprochen werden müssen und der Gesetzgeber sie nicht anspricht, haben die Menschen dieses Sicherheitsventil. Auf nationaler Ebene haben wir das nicht.

Sie haben erwähnt, dass Staaten in den USA, die eine Initiativ- und Referendumsprozess haben, generell mehr Demokratie haben. Sehen Sie auch die Auswirkungen dieser Instrumente auf die repräsentative Demokratie und die gewählten Vertreter in diesen Staaten?

Was Sie gewöhnlich sehen, ist, dass Gesetzgeber verstehen, dass Bürger planen, den Initiativprozeß zu verwenden, um etwas zu tun, und dass der Gesetzgeber sich vorher in einer Weise damit beschäftigt, die er für angemessen hält. Es ist ein Anstoß, die Gesetzgeber zum Handeln zu drängen, damit sie mehr Kontrolle behalten können. Ich würde argumentieren, dass Staaten mit einem Initiativprozeß repräsentativer sind, weil Gesetzgeber wissen, dass es verwendet werden kann, um in ihre Machtsphäre und Gesetzeskompetenz hinein zu regieren, und sie tun, was sie können, um die Leute davon abzuhalten.

In den Vereinigten Staaten ist die direkte Demokratie kein Ersatz für die repräsentative Demokratie, sondern ein Kontrollinstrument. Ich denke, das ist entscheidend: Die meisten Menschen in diesem Land drängen nicht darauf, die repräsentative Regierung abzuschaffen. Sie mögen den Initiativprozeß, weil es ein handfestes Instrument des „checks und balances“ ist, welches sie mit Blick auf die Gesetzgeber haben.

Wie Sie sagten, ist es auch wichtig, dass diese Kontrollen auf nationaler Ebene durchgeführt werden. Besteht die Möglichkeit, dass auch auf Bundesebene in den USA ein Initiativprozess geschaffen wird?

Ich denke, was wir in diesem Land, in den 24 Staaten, die den Initiativprozeß haben, heute sehen ist, dass Gesetzgeber dem Instrument gegenüber sehr feindlich geworden sind und es Menschen erschweren es zu verwenden. Ich denke, das steht in direktem Zusammenhang mit der Polarisierung der Politik in diesem Land.

Es gibt nicht mehr die Zusammenarbeit zwischen den beiden Parteien, um das zu tun, was im Interesse der Menschen liegt. Es ist fast unmöglich, einen Konsens in Fragen zu finden. Wenn die Republikaner die staatliche Legislative steuern, wenden sich die Demokraten mit dem Initiativprozess dagegen, denn so können sie mit der staatlichen Legislative nichts umsetzen und umgekehrt.

Jetzt da Republikaner eine sehr hohe Majorität in den Bundesstaaten haben, arbeiten sie sehr stark daran, um die Nutzung des Initiativprozeß fast unmöglich zu machen. Sie wollen nicht, dass die Demokraten das Instrument verwenden, um die republikanische Kontrolle aufzubrechen. Auf der einzelstaatlichen Ebene müssen wir also leider extra hart arbeiten, um den Prozess zu schützen.

Um den Initiativprozess auf nationaler Ebene einzuführen, müsste der Kongress eine Verfassungsänderung vorschlagen, und in unserer Geschichte hatten wir nur 22 davon. Ich glaube, dass die Menschen es auf der nationalen Ebene mit überwältigender Mehrheit wollen, also würde ich nicht sagen, dass es unmöglich ist, aber es sehr unwahrscheinlich zu diesem Zeitpunkt.

Das ist interessant, denn seit der Wahl von Donald Trump vor einem Jahr hört man oft, dass es eine Menge Entrüstung der Menschen gibt und dass Basisinitiativen blühen, aber gleichzeitig wird es immer schwieriger. Gibt es eine Tendenz, diese Instrumente seit der Wahl 2016 stärker zu nutzen?

Auf lokaler Ebene versuchen die Menschen, mehr Initiativen zu organisieren, denn selbst wenn nur 24 Staaten den Initiativprozess haben, gibt es ihn auf lokaler Ebene fast überall. Leider schaffen die Gesetzgeber, die diesen vermehrten Gebrauch wahrnehmen, „Präventivgesetze“. Und man kann auf lokaler Ebene nichts tun, was auf staatlicher Ebene nicht erlaubt ist.

Viele Leute, aus Gründen, die ich einfach nicht verstehe, schweigen bisher über Trump, weil sie Angst vor der Mehrheit haben, die ihn unterstützt. Viele Menschen empfinden, dass diese Mehrheit, diese 32% der Menschen, nicht sehr nette Menschen sind und sie wollen nichts tun, um diese "Basis" zu ärgern.  Aber ich denke, dass immer mehr Menschen beginnen, ihr Unglücklichsein mit Trump lautstark auszudrücken.

In den nächsten drei Jahren werden sich mehr Menschen der direkten Demokratie zuwenden. Sie sehen es bereits in Kalifornien, in dem mehr Initiativen in diesem Wahlzyklus registriert wurden, als in den letzten 20 oder 30 Jahren. Die Frustration unter den Menschen durch die Polarisierung des Präsidenten bringt die Menschen zur direkten Demokratie.

In Europa haben wir eine Vielzahl von Wahlen erlebt, bei denen extrem rechte Parteien größere Kontrolle bekommen oder sogar Wahlsiege hatten. Dies wurde als Argument gegen die direkte Demokratie angeführt. Gegner behaupten, die Menschen seien zu extrem oder unterstützen keine realistische Politik. Sehen Sie aus der Erfahrung der USA heraus, dass diese Angst legitimiert ist?

Wir brauchen bei allem in den USA ein System des Checks and Balances, ein gegenseitiges Kontrollsystem. In den USA haben wir unsere drei Zweige: Legislative, Exekutive und Judikative. Und ich denke, das ist entscheidend. Ich bin sicher, es gibt einige Staaten, in denen sie, wenn sie eine Initiative um alle Muslime zu verbannen auf den Stimmzettel setzen könnte, das tun würden. Aber die Justiz und unsere Bundesverfassung würden das verbieten: Das ist es, was es heißt, wenn wir ein Gleichgewicht haben! Das ist entscheidend, das und der Schutz der Menschenrechte.

Ich bin fest davon überzeugt, dass die Menschen das Recht haben sollten, alles zu tun, was sie wollen, aber nur so weit, dass sie die individuellen Freiheiten und Freiheiten anderer nicht verletzen, wie es in der föderalen Verfassung beschrieben wird.

Damit kommen wir zurück zu Donald Trump, der als Präsident eine beispiellose Herausforderung für die US-Verfassung war. Schätzt er die Verfassung weniger wert als frühere Präsidenten?

Ich glaube nicht, dass ihm die Verfassung egal ist. Ich glaube, er versteht sie nicht. Er tut Dinge, die die meisten Leute für verfassungswidrig halten, aber er weiß es nicht besser. Er repräsentiert die schlimmsten Qualitäten, die ein Führer haben könnte: Er hat kein Mitgefühl, keinen gesunden Menschenverstand, keinen Buchsinn und er ist ein extremer Narzist, in dem er nur Dinge tut, die in seinem besten Interesse sind. Wäre er im Privatsektor, wäre das hinnehmbar, aber als Präsident der USA sind das die schlechtesten denkbaren Qualitäten.

Aber wir als Land werden mit Donald Trump noch drei weitere Jahre überleben, und die Realität ist, dass er ein perfektes Beispiel dafür ist, wie Checks and Balances funktionieren. Er macht vielen von uns Angst, aber wir haben das Glück, in einem Land zu leben, in dem wir eine Kontrolle haben. Wir werden überleben, es wird schmerzhaft sein, aber wir werden überleben.

Dane Waters hat vor kurzem das „Elephant Project“ ins Leben gerufen, eine Initiative, die den Schutz von Elefanten durch neue und innovative Lösungen sicherstellen will.

 

Interview von Caroline Vernaillen.

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